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Ukraine. Die Aggression. Warum geht es um mehr?

In „Der Tag des Opritschniks“(*) hat Russlands berühmt-berüchtigter Anti-Utopist Vladimir Sorokin die isolationistischen Tendenzen seiner Heimat Rußland in diesem Roman schon in 2008 wörtlich genommen. Er beschreibt darin ein politisch vollständig isoliertes Russland des Jahres 2027 (bis dahin sind’s noch 5 Jahre …). In dem Roman beschreibt Sorokin wie das Volk einem Aufruf seines (neuen) Herrschers, des Gossudaren, folgt und seine Reisepässe dem Feuer übergibt. Der einzige verbliebene Handelspartner ist China. „Wir haben alles, was wir brauchen: Gas, Öl, wir haben Wälder, wir haben Holz. Und alles Übel kommt aus dem Westen.“ Darf man hoffen, daß diese „Anti-Utopie“ im Heute eine sich nicht erfüllende Dystopie bleibt? Immerhin könnte man mit dystopischer Phantasie hier eine Linie zu Putins metaphysischer Vorstellung vom Heiligen Russland ziehen (dazu Kurt Kister und Vladimir Sorokin in der Süddeutschen vor einer Woche). Die historisch belegten (*) Opritschniki waren dem ersten Zaren Russlands Ivan IV („der Schreckliche“, manchmal auch mit „der Zornige“übersetzt), mit persönlichem Eid ihm allein verpflichtet und verbreiteten mit Massenexekutionen, Folterungen und Plünderungen Angst und Schrecken. Im 16.Jahrhundert.

Die im Russland Ivans IV amtlich für die Sicherheit zuständigen Opritschniki sind in dieser Funktion vergleichbar mit den Siloviki von heute (exKGB, FSB, GRU). Putin, selbst Offizier des KGB, ‚besitzt‘ seine KGB-Kollegen als Prätorianer auch zu seiner persönlichen Sicherheit. Wie er diese Siloviki auch heute auf seine „Mission“einschwört, konnte man zur Primetime am Beispiel Naryshkins (Chef des Auslandsgeheimdienstes) am 24.Februar im TV mitansehen. Ob Putin noch zurechnungsfähig ist und die Prätorianer, die mit dieser Eskalation auch viel zu verlieren haben, im „die Treue halten“, wird sich zeigen. Hoffen wird man ja wohl noch dürfen.

Nun haben wir in Europa einen Krieg mittelalterlicher Grausamkeit. Der Unterschied zu heute: damals gehörte das Gemetzel an der Zivilgesellschaft zum Krieg dazu. Heute gibt es die Genfer Konvention, die das Morden der Zivilgesellschaft verbietet. Der Kriegsherr Putin und seine Offiziere führen heute Krieg gegen alle Ukrainer. Putin und seine Offiziere sind Kriegsverbrecher.

RECHTS: Dieses Bild (‚Face of War‚) hat Dasha Marchenko in 2015 (!) aus 5000 Patronenhülsen geschaffen.

Dieses aktuelle Horrorszenerie ist jetzt der Treibstoff für den plötzlichen neuen gesellschaftlichen und politischen Konsens im „Westen“. Für die bisher – nach der WW2-Katastrophe – mehrheitlich militärferne Gesellschaft war die Sicherheitspolitik Friedenspolitik. Nun spielt militärische Wehrhaftigkeit wieder eine Hauptrolle, weil die Erkenntnis gereift ist, daß totalitär regierte Staaten aggressiv sein können und Friedenssicherung nur bewaffnet möglich ist. Cicero empfahl in 43 v.Chr.“si vis pacem, para bellum“und der Militärexperte Vegetius riet seinem Kaiser Theodosius Ähnliches ca.400 Jahre danach: ‚wenn Du Frieden willst, rüste für den Krieg‚. Kaja Kallas, Estland-Premierministerin:“Sometimes the best way to achieve peace is to be willing to use military strength.“

Mir fällt mit Blick auf Putins neo-imperialistischen Revisionismus noch Catos „Ceterum Censeo Carthaginem esse delendam“ein. Hannibals Karthago stellte eine permanente Gefahr für das römische Reich dar.

Das „delendam“muß hier und heute transfigurativ verstanden werden: „Zerstörung“nicht wörtlich und kontrazivilisatorisch à la Putin und seinen Siloviki, sondern durch Entzug der Resourcen, die Hochrüstung ermöglichen. Auch, wenn das utopisch (nicht unrealistisch) ist, werden Kriege in Zukunft immer weniger soldatisch uniformiert und wie bis heute ohne Rücksicht auf Menschen, Tiere und andere Natur geführt, sondern nach hybridem Übergang (wenn wie z.B.in Afghanistan und im Näheren Osten auch nicht uniformierte Kämpfer soldatisch ausgerüstet zerstören) im Netz. Eine schöne, neue Welt 2.0.  

 

 

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