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Ein, nein,  d a s  Solidaritätskonzert für die Ukraine

Am 19.März setzten das Konzerthausorchester Berlin und Dirigent Christoph Eschenbach ein musikalisches Zeichen der Solidarität und widmeten ukrainischen Kindern und ihren Familien ein besonderes Konzert. Auch für mich selbst ein ganz besonderes Erlebnis [online]. Hier ist der link. Nutzbar bis 17.Juni 2022.

https://www.3sat.de/kultur/musik/solidaritaetskonzert-ukraine-100.html

Das ganz Besondere an diesem Ereignis ist für mich die Auswahl der Musik … und der Dirigent Christoph Eschenbach, den wir – als Familie – in der Gruppe der damaligen Klaviervirtuosen Helmut Schmidt, Justus Frantz und Gerhard Opitz  kennenlernten, die Gruppe, die in 1985 vier von Bachs sechs Klavierkonzerten (BWV 1060, 61, 63, 65) für Deutsche Grammophon einspielten (ganz rechts auf dem Cover).

Eschenbach hat hier ein paar Worte zu diesem Solidaritätskonzert gesagt, die mich auf ihn neugierig gemacht haben und die als Begründung für die Auswahl der Musikstücke starke Assoziationen auslösen. Die Mutter Eschenbachs starb bei seiner Geburt. Er wurde 1940 in Breslau als Christoph Ringmann geboren; sein Vater Heribert Ringmann starb wenige Jahre später in einem Strafbataillon an der Kriegsfront. Nach dem Krieg erkrankte der Vollwaise in einem Waisenhaus an Typhus.   

Die Adoption durch Wallydore Eschenbach, einer Cousine der leiblichen Mutter, empfindet Eschenbach als Rettung. Die Sängerin und Pianistin gibt dem über Leid und Krankheit verstummten Kind nicht nur die Sprache zurück, als sie den Jungen fragt, ob er selbst Musik machen wolle und er nach einjährigem Schweigen jaantwortet.“

Sie schenkt dem Leben Eschenbachs „einen tiefen Sinn und seelischen Frieden“. Der Vater Heribert Ringwald war Musikwissenschaftler und hat als Musiker wahrscheinlich zu Christoph Eschenbachs Ontogenese beigetragen.

So haben Eschenbachs Worte zur lebensrettenden Bedeutung von Musik anlässlich dieses Konzerts einen sehr persönlichen Bezug.

Valentin Silvestrovs „Prayer for Ukraine“ leitet das Konzert ein. Silvestro ist Ukrainer und man sollte ihn kennen als „einen ganz Grossen“. Ich kannte ihn nicht. Wahrscheinlich kennt man viele grossartige Künstler nicht als berühmte Vertreter der Ukraine. Das ändert sich gerade. An den Friedenspreisträger Lew Kopelew erinnert man sich zunächst als russischen Dissidenten und selbst Michail Bulgakow wird von Wikipedia auch jetzt noch als russischer Schriftsteller beschrieben. Beide wurden in Kiew geboren.
Nach dem Gebet von Silvestrow zwei Werke Dmitrij Schostakowitschs:

Zunächst das eher heitere erste Cellokonzert in Es-Dur mit dem jungen Cellisten Bruno Philippe, der hier auch eine fulminante Cadenza als quasi autonomen Satz hinlegt. Vielleicht hat Eschenbach es als Entspannung angelegt, weil die ohne Pause darauffolgende Achte so schwermütig mit dem ersten Satz – fast so lang wie das Cello-Konzert – die Trauer und das Grauen des Kriegsgeschehens auf das Gemüt einwirkt. Der wenige Minuten von der jungen Frau so hingebungsvoll gespielte Soloeinschub mit der Bariton-Oboe hat mich besonders, auch visuell bewegt.

Diese Augenblicke habe ich als Clip hier eingefügt. Die beiden folgenden Sätze mit jeweils 6 Minuten vermitteln – ganz gegensätzlich zum ersten – mit Kesselpauken und Blechblasinstrumenten(*) die zerstörerische Wucht des Kriegsgeschehens.

Kommentar dazu im Begleitheft : „Dieser (2.) Satz erlaubt dem Zuhörer keine Erholung von der Gefühlsintensität des ersten …“ mit ein paar gezielt verfremdenden Akkorden (Pikkoloflöte, Tuba). Im Begleittext wird von zwei aufeinanderfolgenden Scherzi geschrieben (da ist absolut nichts Scherzhaftes … es ist eben ein musikologischer Begriff).

Obwohl die Achte in c-Moll gesetzt ist, kommen mir die letzten Minuten im Schlusssatz vor wie tröstliches C-Dur … ich kann mir vorstellen, daß das von DSCH so gewollt ist: Trost und Perspektive.

Der Dirigent verweilt einige Sekunden bevor er den Stab absenkt und nach einer nachwirtkenden Stille für den entspannenden Applaus freigibt.

(*) die Vielfalt der Instrumente in Schostakowitsch-Orchestern hat mich von Anfang an begeistert. Gegen Schluß des 5., des Schlusssatzes spielt sogar eine Bassklarinette auf …

Schostakowitsch legt mit seiner Musik fast lebenslang Zeugnis für die Schrecknisse des Kriegs und auch der Diktatur ab. Unter beidem hat Schostakowitsch schwer und sein ganzes Leben (1906-1975) lang gelitten (Julian Barnes bearbeitet in seinem Roman „The Noise of Time“ the relationship between art and power, or, more specifically, between individual creativity and a controlling state am Beispiel dieses berühmtesten Komponisten Rußlands).

Mit der Wahl der Musik Schostakowitschs macht Eschenbach auch auf diese Dramatik der Kultur Russlands und in Russland aufmerksam und ermahnt uns – bewußt oder nicht – daß Putin, die Siloviki und die Soldateska und Russland nicht dasselbe sind.

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