Mein Russland – Update
Noch ein Pladoyer für die schönen Dinge, die wir der russischen Kultur verdanken – nach Semyon Bychkov, 1952 in der UdSSR geboren, Chefdirigent und Musikdirektor des Czech Philharmonic Orchestra.
Er hat in den Musikhäusern aller deutschen Metropolen dirigiert. Er verliess „sein Russland“ in den 70ern.
Bychkov beklagt, alles Russische sei nun giftig geworden und führe zu Verboten russischer Kunstwerke und Stornierungen russischer Künstleraufführungen.
In seinem Beitrag im Economist (05.April) beklagt er diese Verbote als eine irrationale Reaktion, eine Reaktion, verstärkt mit der Intensität der Abscheu auf die Schrecken des Krieges und des Leidens, die dem Volk der Ukraine zugefügt werden.
Diese Reaktion spiegelt unser Gefühl der Hilflosigkeit, unseren Schmerz und den Wunsch, irgend etwas zu tun, um unsere Ablehnung und Revolte gegen Gewalt zu äussern.
Bychkov mahnt: Kunst darf nicht für politische Zwecke oder zur Rechtfertigung einer Ideologie genutzt, also missbraucht werden. So wie es das russische Regime tut; das Regime ‚kidnappt‘ Kunst, um das Unentschuldbare zu rechtfertigen.
Wir hier und andere Europäer haben uns aus Bequemlichkeit mit dieser Macht nicht nur arrangiert. Wir haben zugelassen, ihr Werkzeug zu sein.
Russlands kulturelles Erbe ist eine enorme, eine universelle Macht. Es bereichert unser Leben durch seine humanistischen Ideen. Es trägt zur Schaffung einer besseren Welt bei.
Wie sehr Angst und Abscheu zu irrationalen Entscheidungen führen, zeigt die aktuelle Entscheidung der Warschauer Staatsoper, die Aufführung von Mussorgskys ‚Boris Godunov‘ abzusagen. Mussorgsky komponierte die Oper im 19. Jahrhundert. Sie führt vor, was absolute Macht tut, um ein Individuum, einen strengen Herrscher Russlands und sein Volk zu zerstören.
Das ist also der Grund, warum diese Oper gerade jetzt erst recht aufgeführt werden muss und nicht abgesagt werden darf.
Um die Leningrader im Überlebenkampf während der 871 Tage der Belagerung durch das deutsche Heer (1941-1944) und die von den Deutschen verübte Unmenschlichkeit zu begleiten und etwas Trost zu spenden, sendete das Leningrader Radio-Sinfonieorchester regelmäßig Aufführungen der Musik vieler verschiedener Komponisten.
Der deutsche Komponist Beethoven war einer von ihnen.
Wenn wir russische Künstler, Autoren und Musiker ausschließen, was unterscheidet uns heutige Deutsche letztlich von uns als wir mehrheitlich noch Nazis waren, Bücher verbrannten, Musik und Kunst verboten, die nicht zu unserer Gift-Ideologie und unserer Rassenideologie passten?