Über das bessere China
Nancy Pelosi, US-Chef-Parlamentarierin, hat das amtlich nicht souveräne Taiwan besucht und nicht nur die Alten Männer, die „klassischen Realisten“ (Mearsheimer u.a.) erschreckt.
Ich fürchte, auch die Mehrheit in den saturierten Demokratien des „Westens“ würden lieber nachgeben und dem chinesischen Chief Bully Xi Jinping – sowie eben auch dem russischen Chief Bully Putin – die Lügen glauben und sich manipulieren lassen.
Egal, was aus Peking zitiert wird, es ist entweder nach Strich und Faden gelogen oder ideologischer Krampf.
Pelosi hat sich kurz nach ihrem Taiwan-Besuch am 05.August in der Washington Post geäußert und sich dabei auch auf die dokumentierten Festlegungen der amerikanischen Administrationen seit Aufnahme diplomatischer Beziehungen zur Volksrepublik China (Nixon, Kissinger) 3 Jahre nach Mao Tsetungs Tod) bezogen und die Einhaltung dieser Festlegungen der amerikanischen Administration wie auch anlässlich ihres Besuchs dort bestätigt. Pelosi ist für die Pekinger bereits seit den 1990ern ein Rotes Tuch. Ein paar Jahre nach dem Tiananmen Massaker hatte Nancy Pelosi mit Kollegen dort ein schwarzweisses Banner ausgebreitet niedergelegt, auf dem stand … “To those who died for democracy in China.”
Die Provokation ist nicht das Auftreten Pelosis auf dem Tian’anmen-Platz vor 30 Jahren und auch nicht ihr Besuch in Taiwan Ende Juli dieses Jahres. Die Provokation ist der mehrfache Wortbruch der Volksrepublik: die Zusicherungen, die die noch junge Mao-Regierung dem friedlichen Tibet nach der erneuten Einnahme in 1952 gegeben hat und die Vereinbarung, die zur Aufnahme der diplomatischen Beziehungen mit den USA am 01.Januar 1979 führte und in der Peking erklärte, die friedliche Vereinigung mit Taiwan anzustreben, wurden gebrochen. Aus der mit dem Vereinigten Königreich 1982 ausgehandelten Übergabe der Kronkolonie Hongkong und Macao in 1997 auf Basis des Prinzips“One Country – two Systems“ist inzwischen die de facto Annexion der Kronkolonie und Androhung der Übernahme mit Gewalt der Republik Taiwan geworden. Das provoziert die in der UNO verfaßte Weltgemeinschaft.
Ein Beispiel für ideologischen Krampf aus China ist die häufig zitierte Behauptung Demokratie sei eine Erfindung des „Westens“ (was stimmt, Dr.Sun bezog sich auf sie als er seine Drei Prinzipien festlegte) und sei mit der Kultur Chinas inkompatibel (was mehrfach dokumentiert nicht stimmt). Der Aufstand der sich für Ihre Gesellschaft Demokratie wünschenden Chinesen in Ihrem Land im Mai, Juni 1989 – nicht nur auf dem Tian’anmen-Platz in Peking manifestierend, dort mit der ganzen Welt als Zeugen an Bildschirmen verfolgbar – wurde rücksichtslos und mit 1000en Toten und 10000en Verletzten und wer-weiß-wie-vielen anders aus dem Verkehr Gezogenen niedergeschlagen. Den Befehl dazu hatte Deng Hsiao Ping gegeben. Deng „The party’s interests always trump the people’s.“ Ein Ereignis, das es nach chinesischer Geschichtschreibung nicht gegeben hat. Es bleibt beim „Platz des Himmlischen Friedens“ … im Wortsinne. Es gibt den lebenden Beweis: die Republik Taiwan, das andere China, belegt mit Position 26 (2021) einen der ersten Plätze im Demokratie-Ranking – noch vor der Bundesrepublik (Position 5). Mainland China ist auf einem der letzten Plätze (172).
Ein Beispiel für „Geschichtspolitik“ made in China (Peking): Wenn am Labour Day Golden Week im Mai auf dem Tian’anmen-Platz groß aufmarschiert wird, beherrschen der im tausendjährigen Reich der inzwischen demokratisch verfassten Deutschen erfundene Stechschritt, die Waffenshow und Riesenbilder von Mao und des Staatsgründers Sun Ya Tsen die Staatsvorstellung. Mittlerweile gibt es zu dort diesen Feiern neben einem großen Bild ein ebenso großes Bild von Sun Yat-sen. Keine Bllder mehr von Marx und Lenin.
Wo bleibt der Bezug auf die Marxisten?
Das Programm Sun Yatsens DIE DREI PRINZIPIEN VON SUN YIXIAN (Ya Tsen) wurde in 1923 als „Grundlagen des Nationalen Wiederaufbaus“ mit überwältigender Mehrheit von der damals noch demokratischen verfassungsgebenden Versammlung Chinas in beschlossen worden:
(1) Das Prinzip des Nationalismus.
(2) Das Prinzip der Demokratie.
(3) Das Prinzip des Lebensunterhalts.
Zu (2) schrieb Dr.Sun Ya Tsen:
„Die wahre Bedeutung des Konstitutionalismus wurde von Montesquieu entdeckt. Die von ihm befürwortete dreifache Trennung von Gesetzgebungs-, Justiz- und Exekutivgewalt wurde in jedem verfassungsmäßigen Land in Europa akzeptiert.“ Sun Ya Tsen hat diese Prinzipien zum Programm gemacht und erhielt überwältigende Zustimmung.
Heute ist Sun Yat-sen der einzige chinesische Politiker, der sowohl in Taiwan wie in der Volksrepublik China großes Ansehen genießt.
In Taiwan wird er als Vater der Republik China betrachtet und sein Bild ist in fast allen öffentlichen Räumen präsent.
Die Frau an Dr.Suns Seite ist Chingling Soong. Sie wurde Jahre nach Dr.Suns frühem Tod Stellvertreterin Maos und einzige Ehrenpräsidentin der Volksrepublik bis sie in 1981 88-jährig in Peking starb. Ihre Schwester Meiling Soong war (mächtige) Ehefrau Chiang Kai-shecks. Dieser, Maos Erzfeind, war Präsident der Republik China (Mainland 1928-31/1943-49) und von Taiwan 1950-1975.
Eine atemberaubende Geschichte, die die VRCh und Taiwan gemeinsam haben. Ich empfehle ausdrücklich Sterling Seagraves „The Soong Dynasty“.
Es fesselt nicht nur, es informiert auch über eine Familie (drei Schwestern, ein Bruder – alle hochprominent, erfolgreich und mit besten Verbindungen in Washington, Tokio und Moskau), ohne die die Geschichte Chinas und sicher auch Taiwans sehr wahrscheinlich anders verlaufen wäre.
Wie geht’s nun weiter im Diesseits?
In der Süddeutschen Zeitung vom 4. November 2015 meinte Fernost Redakteur Kai Strittmatter zur „abtrünnigen Provinz“ Taiwan: „allmählich scheint dem Westen zu dämmern, daß Taiwan das Mächtigste sei, was zwischen Chinas Führern und ihrer Behauptung steht, Chinesen taugten nicht zur Demokratie.“
Taiwan hat sich seit etwa 50 Jahren – Chiang Kai-shek starb 1975 – fast in jedem Lebensbereich vorbildlich und demokratisch entwickelt.
Wenn wir „Westler“ den Erpressern das Erpressen durchgehen lassen, geben wir uns, unsere Werte und unsere Grundordnung auf. Wir dagegen glauben, daß wir „diesen riesigen Markt“nicht aufgeben dürfen – und so erpressbar geworden sind – ebenso erpressbar wie mit der Droge“billiges Gas aus der Großtankstelle“ Rußland.
Die Droge „Riesenmarkt“ ist also ebenso wirksam wie die Droge „billiges Gas“. SZ-Strittmatter schreibt dazu in der Süddeutschen vom 05.August:
„Nach Russlands Überfall auf die Ukraine hat sich ein schockiertes Deutschland zwei große Fragen gestellt. Frage Nummer eins: Wie konnten wir nur so naiv sein, wie konnten wir nur die Natur dieses Regimes so verkennen? Und Nummer zwei: Wie, verdammt noch mal, konnten wir uns nur in eine solche Abhängigkeit von Russland begeben?
Exakt dieselben Fragen muss man sich mit Blick auf China stellen. Jetzt. China ist die weit größere Herausforderung für die Weltordnung des neuen Jahrhunderts, als es das schwächere Russland ist (Foreign Affairs: „China’s New Vassal: How the War in Ukraine turned Moscow Into Beijing’s Junior Partner“). Die Exportmarktabhängigkeit von China ist eine andere als die Energieabhängigkeit von Russland – es ist eine viel größere, sie macht ungleich verletzlicher.“ Gibt es eine gegenseitige Abhängigkeit. Das müssen wir herausfinden.
Perspektiven? Unwahrscheinlich ist nach dem Muskelnzeigen als Reaktion auf die Pelosi-Provokation, daß China eine Invasion versuchen. Es liegen immerhin 130 km Wasser („Taiwan-Meerenge“) an der schmalsten Stelle zwischen dem Festland und Taiwan. Taiwan hat es also besser als die Ukraine gegen Rußland. Die aktuelle innenpolitische Situation der PRCh ist ein größeres Hindernis: de facto Rezession, Millionen Universitäts-Abgänge drängen in einen defizitären Arbeitsmarkt (Studenten könnten an Tiananmen erinnert werden …). China (z.B.Huawei) ist ebenso abhängig von den Microchips wie die USA und andere Hightech-Länder. Und diese für die Funktion von Kühlschränken, Smartphones, Computer und viele anderen Technikgeräte essenziellen Bauteile werden in Taiwan von TS
MC hergestellt. TSMC (Taiwan Semiconductor Manufacturing Company) liefert 2/3 des Weltbedarfs!
Manche befürchten, das könne auch zum Ablenkungskrieg führen. Anders als im Kreml, wo Putin de facto allein herrscht, gibt es in Peking (noch) ein Führungskollektiv (State Council Executive Meeting), das Xi Jingpin anführt, aber (noch) nicht als Alleinherrscher.Es darf gehofft werden, daß Xi im Herbst nicht „zum zweiten Mao“ (= Führer aus Lebenszeit) gewählt wird. Premier Le Keqiang hat bereits „sachliche“Kritik über die sich seit Pandemie verschlimmernde ökonomische, soziale und gesundheitspolitische Lage geäußert.
Es ist Zeit für einen zweiten Deng, der zwar in puncto der uns wichtigen Eigenschaften (Demokratie etc.) nicht besser sein wird, aber wahrscheinlich weniger schlecht als Xi, der sich gern als ideologischer Nachfolger Mao Tsetungs sieht.
Deng war der Pragmatiker und Mao der Ideologe. Maos Herrschaft verhinderte die positive Entwicklung Chinas und Deng beförderte sie, bzw.versuchte das bis zu Maos Tod in 1976. Mao hatte Deng dreimal in die Wüste geschickt. Nach Maos Tod und der Entmachtung der „Bande der Vier“ regierte Deng Xiaoping die Volksrepublik China faktisch von 1979 bis 1997. Er brachte China auf einen wirtschaftlichen Liberalisierungskurs, der zu einer schnellen Verbesserung der materiellen Lage fast aller Chinesen führte. Zu Maos Lebzeiten war das nicht möglich. Deng galt als „Generalarchitekt von Reform und Öffnung“. Er beförderte eine Art innerparteilicher Demokratie, lehnte aber die konstitutionelle Demokratie für die Volksrepublik ab. Deng befahl in der Konsequenz die Niederschlagung des Aufstands in 1989.
In 1982 handelte Deng mit Margaret Thatcher die Übernahme der Kronkolonie Hong Kong in 1997 durch die Volksrepublik China aus. Dengs Konzept beinhaltete nicht das Ziel der gleichmachenden Vereinigung Hong Kongs mit Mainland China, sondern ganz nach Dengs wirtschaftsliberalem Konzept, daß das Mainland in den 50 Jahren während des Übergangs „One Country-Two Systems“ von Hong Kong lernt, wie man zu Wohlstand kommt. Deng starb in 1997.
Xi’s Great Leap Backward
Die VRChina Xis leidet aktuell an zu viel Ideologie und daran, daß da wieder ein Mann alles entscheidet – und dabei gravierende Fehler gemacht hat. Diese Volksrepublik China, die sich nun über die Provokation Pelosis aufregt, hat den in 1982 vereinbarten „One Country, two Systems“-Vertrag für Hong Kong gebrochen und so der Republik China-Taiwan gezeigt, was der demokratischen Republik Taiwan nach einer Wiedervereinigung blüht. Taiwan liegt auf der Demokratie-Matrix von 180 Ländern auf Rang 26, VRChina auf Rang 172. Auf dem CPI (Korruptionswahrnehmungsindex) auf Rang 25, VRChina auf Rang 66.
Für Taiwan einzustehen sollte nicht nur für die USA Grundsatz sein.
Frau Baerbock, auf der UN-Konferenz am 03.August: „Wir akzeptieren nicht, wenn das internationale Recht gebrochen wird und ein größerer Nachbar völkerrechtswidrig seinen kleineren Nachbarn überfällt“. Baerbock fügte hinzu: „Und das gilt natürlich auch für China.“
SZ am 04.08.: Da standen also vor der Weltpresse, sehr zum Ärger der alten Männer in Peking, zwei mächtige Frauen (die Präsidentin Taiwans und Vorsitzende des US-amerikanischen Kongresses) und sangen das Loblied der Demokratie.
Gut, daß es auch in der Politik mutige Frauen gibt.
Dazu auch der Gastbeitrag „Das bessere China“von Alexander Görlach in der SZ vom 08.08.22:
http://sz.de/1.5635252
Nachtrag: Die Volksrepublik China hat die anlässlich der Aufnahme der diplomatischen Beziehungen mit den USA gemachte Zusage, die Vereinigung mit der Republik China (Taiwan)friedlich zu verfolgen, im März 2005 mit einem Anti-Abspaltungsgesetz aufgehoben. Das Gesetz spricht Chinas KP-Führung das Recht zu einem Militärschlag gegen Taiwan zu.



