meine blogs

Warum darf Ukraine den Krieg nicht verlieren?

Ukraine hat in ihrer Geschichte viele Versuche eigener Staatsbildung unternommen. Das heutige Territorium der Ukraine gehörte im Laufe der Geschichte zu mindestens 14 verschiedenen Staaten, Dazu gibt es eine Reihe historiographischer Untersuchungen und Zusammenfassungen. Eine von den meisten Historikern als objektiv und faktengestützte, dabei konzise Darstellung hat der Schweizer Historiker Andreas Kappeler mit „Ungleiche Brüder: Russen und Ukrainer vom Mittelalter bis zur Gegenwart“ (2017, Beck-Verlag)verfasst. Kappeler ist emeritierter Professor für Osteuropäische Geschichte und als Ukraine-Russland- Autorität anerkannt.

Der letzte Versuch zu einem eigenen, souveränen Staat zu kommen, nutzte das Ende des Vielvölkerstaats der Union der sozialistischen Sowjetrepubliken (UdSSR) in den 1990ern. Was danach folgte, war eine stürmische, echt demokratische „Evolution“ hin zu einer eigenständigen Republik, die trotz Orange-Revolution und Maidan wohl erst mit der Wahl des jetzigen Präsidenten konsolidierte. Die „westliche Orientierung“der Ukrainer haben die meisten Deutschen wohl erst persönlich seit der russischen Aggression kennengelernt.

Die Annexion der Krim durch die russische Föderation und die darauf folgende Besetzung der Industrieregion im Donezbecken (kurz: Donbas) im Südosten der Ukraine durch von Russland gesteuerte Milizen im Frühjahr 2014 haben einen militärischen Konflikt zwischen diesen Staaten ausgelöst, der sich jetzt mit der Invasion russsischer Truppen auf dem Höhepunkt befindet. 

Wie ist es dazu gekommen ?

Seit dem 18. Jahrhundert entwickelte sich das Verhältnis dieser eigentlich kulturell eng miteinander verbundenen, durch keine geografischen Grenzen definierten Völker asymmetrisch. 

In der Sicht Russlands sind die Ukrainer bis heute unverändert „die Kleinrussen“. Eine auch im Westen verbreitete Sicht.

Wer mehr über die Motive derjenigen Russen und der russischen Elite erfahren will, die unter dem Phantomschmerz des Verlusts ihres Imperiumstatus leiden und diesen Status wiedererlangen wollen (Geschichtsrevision), sollte sich mit der russischen Geschichte etwa ab der Zeit Ivans IV (16.Jahrhundert) befassen, die Musik Mussorgskis (Boris Godunow, Chowanschtschina) bis Schostakowitsch (z.B.13.Symphonie und Jewtuschenkos Lied „Babi Jar“ – auch Untertitel der Sinfonie)hören. 

Die Symphonie ist allerdings zunächst ein Mahnmal für den monströsen Massenmord an 30.000 jüdischen Ukrainern 1941 durch die Deutschen. Dmitri Schostakowitsch protestierte in seinem Werk aus dem Jahr 1962 aber mit diesem mutigen Kunstwerk nicht nur gegen den sowjetischen Antisemitismus. Er und Jewtuschenko beklagten darin auch die sozialen Verhältnisse seiner Zeit.

Unsere Lehrer erzählten uns von der Auseinandersetzung in der großen russischen Literatur im 19.Jahrhundert zwischen den „Westlern“(Turgenjew) und den „Slawophilen“ (Dostojewski).

Bis heute haben sich in Russland die Slawophilen durchgesetzt. 

Die „russische Seele“ist nicht nur leidensfähig, sie ist wohl auch leidensbereiter. Die Autorität des „Väterchen“Zar wird aktuell von Putin verkörpert. 

Alexander Newskij im 13., auch Ivan IV 300 Jahre später kämpften gegen die „westlichen Feinde“und arrangierten sich mit den Khanen aus der Tiefe des Ostens. Ein „Westler“fragte einen Russen, ob er eher Europäer oder Asiate sei. Der Russe antwortete:“Russe“.

Wer über die Entwicklung des russischen Imperiums und der russischen Föderation Aktualisiertes wissen will und verstehen möchte, wie es in den letzten 100 Jahren zu diesem furchtbaren Missverständnis in Russland und in Europa und dem Grenzland (wörtliche Übersetzung von Ukraine – gemeint ist „Grenze zur Steppe“, die Trennlinie zwischen Sesshaften und Nomaden, die bis ins 18. Jahrhundert grundlegende Bedeutung hatte) = Ukraine kommen konnte, der findet die Ursachen und Gründe in vielen Veröffentlichungen. 

Ich empfehle – wie übrigens auch die TAZ in einer Rezension – „Das deutsch-russische Jahrhundert“(2022) des deutschen Historikers  Stefan Creuzberger und „Putin’s People  – wie sich der KGB Russland zurückholte und sich dann den Westen vornahm“ (2020) von Catherine Belton, Korrespondentin der Financial Times in Moskau und „investigative Journalistin, die sich auf Russland spezialisiert hat“. Sabine Adler (langjährige Russland-Korrespondentin des DLF) wird sicher mit ihrem Buch „Die Ukraine und wir“(2022) zu ähnlichen Schlüssen kommen, nämlich, dass dieses „Grenzland“ auch Grenzland Europas ist und Ukraine nicht nur die eigene republikanische Staatlichkeit, sondern auch die in den europäischen Regionen gewählte demokratische Verfasstheit verteidigt. Grenzland ist zum Grenzwall geworden.

Darum darf Ukraine diesen Verteidigungskrieg gegen den Agressor aus Russland nicht verlieren.

Epilog: Die Mittel dazu muß die europäische Führungsnation Deutschland – gleichzeitig weltweit die Nummer Drei der Hersteller und Lieferanten militärischer Technologie (=Waffen) – bereitstellen. Die „Führungsnation“ kann das.

Dazu gehören selbstverständlich solche Waffen, die Ukraine verteidigungsfähig machen, somit auch schwere Waffen wie den Leopard 2.

Die Medien in anderen Ländern des „Westens“lesen sich sehr deutlich dazu:

The Economist am 18.d.M.:

The (Olaf Scholz and his followers‘)arguments do not quite add up. Ukraine’s army has proved itself very capable of adopting and adapting new weapons systems. Much of the European Leopard fleet is clearly surplus to needs in countries far from a hostile front. Russia has escalated the war anyway. In terms of tanks, Britain has already committed to sending its comparable Challenger to Ukraine. And the Americans have a better technical argument that their Abrams tanks, which are immensely heavy, costly and hard to maintain, are not a suitable platform for Ukraine.

Putin hat vom ersten Tag der Aggression mit nuklearer Vergeltung gedroht und – ermutigt durch den Erfolg seiner Drohung – diese kontinuierlich wiederholt. Eric Schlosser fordert in seinem Essay in The Atlantic dazu auf, weiterzudenken, d.h.auch die Folgen dieser Propaganda: nach der Zerstörung, dem Erfolg der russischen Aggression, wird Moldawien als „Dessert“folgen, dann – auch viel leichter als Ukraine – Georgien. Polen, die die Erfahrung dreimaliger Teilung und Einverleibung seit dem 18.Jahrhundert haben, wissen, dass Russland nach diesen „Erfolgen“weitermachen wird.

Diejenigen Deutschen, die Angst davor haben, dass Russland seine Nukleardrohung wahrmacht, wenn schwere Waffen aus Deutschland in Ukraine zum Einsatz kommen, denken offenbar, dass Russland nach der erfolgreichen Ukraine-Aggression genug hat …

Dazu schreibt Eric Schlosser in The Atlantic: Putin’s (nuclear) blackmail is dangerous; its success would be even worse.

Nachtrag am 30.Januar: Sicherheitsexperten des Institute for the Study of War (ISW) in Washington, D.C.: Zu späte und zu zögerliche Waffenlieferungen aus dem Westen tragen dazu bei, den Konflikt in die Länge zu ziehen.