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Die deutschen Intellektuellen wollen mit Putin verhandeln – wahrscheinlich „fair“. Sie wissen immer noch nicht, mit wem wir es zu tun haben.

An diesem 24.Februar vor einem Jahr klingelt der Wecker, aber Europa erwacht nur allmählich aus dem Traum vom ewigen Frieden.

Viele klugen Bürger reiben sich offenbar immer noch die Augen und meinen … es ist möglich, mit Russland zu verhandeln … (wohl, weil es möglich sein muss).
An diesem 25.Februar werden am Brandenburger Tor viele tausend Bürger für den Frieden demonstrieren.
Eigentlich gut.
„Eigentlich“, weil tatsächlich gegen die Wehrbarmachung der souveränen Ukraine demonstriert wird. Im von inzwischen mehr als einer halben Million unterzeichneten Manifest „Aufstand für den Frieden“(eigentlich gegen die Waffenlieferungen) steht: „Verhandeln heißt nicht kapitulieren. Verhandeln heißt, Kompromisse machen, auf beiden Seiten.“

https://www.change.org/u/1294620918

Sonja Zekri dazu in der SZ vom 23.02.: „Wagenknecht, Schwarzer, Precht und Welzer: Nein, sie wissen nicht, was besser für die Ukraine ist – auch wenn sie das glauben. Was sie brauchen, wissen viele Ukrainer gerade selbst am besten.“ https://www.sueddeutsche.de/kultur/ukraine-krieg-wagenknecht-1.5756501

Putin und die anderen ex-KGB-, jetzt Sicherheits- und Oligarchen-Kollegen wollen die Ukraine auslöschen. Eine Verhandlung kann – in Kenntnis des russischen „Narrativs“ – nur zur Kapitulation der Ukraine führen. 

Mit diesem Verhandlungsergebnis, also der Kapitulation der Ukrainer, würde für Russland – nach „Heimholung“der Krim – ein weiterer Schritt zur Revision der russland-geführten UdSSR und der Wiederherstellung der Russkji Mir, der „Russischen Welt“ vollzogen. Putin hat diese Doktrin im September 2022 unterschrieben: wo russisch gesprochen wird, ist Russland.

Die Ukraine kann sich aber als souveräner Staat für andere Partner – z.B.die EU -entscheiden. Putins Antwort darauf: „willst du nicht mein Bruder sein, schlag‘ich dir den Schädel ein“. Thomas Friedman von der New York Times: „Marry me or I’ll kill you“.

Wie allumfassend Russen bei diesem Projekt, der Auslöschung der ukrainischen Identität, vorgehen, wurde von Ukrainern, europäischen Beobachtern und in der Meinungsvielfalt deutscher Medien (SZ, Die Zeit …) vielfach berichtet. Sehr eindrücklich dazu der Gastbeitrag des ukrainischen Essayisten und Psychologen Jurko Prochasko (… unsere Kultur wird als „katastrophal“ markiert) in der SZ vom 20.02.2023:

https://www.sueddeutsche.de/kultur/ukraine-putin-krieg-kultur-jurko-prochasko-zerstoerte-museen-1.5749103

Dazu anschließend der Artikel „Mitten ins Herz“ des SZ-Feuilleton-Redakteurs Jörg Häntzschel:

https://www.sueddeutsche.de/projekte/artikel/kultur/ukrainekrieg-kulturzerstoerung-russland-e889566/

Auch ein Beispiel: 
https://www.zeit.de/kultur/2022-07/waffenlieferung-ukraine-krieg-appell-brief

Im September 2022 sollte dieser Beitrag Prochaskos unser Unbehagen erzeugen. Man möchte an solche Projektionen nicht glauben. Auf russischen Panzern kann man aber inzwischen auch schon mal neben dem „Z“ „Auf Wiedersehen in Berlin“ – russisch – lesen.

Putin hat den Zerfall der Sowjetunion in einer in Russland gehaltenen Rede an die Nation in 2004 als „gesamtnationale Tragödie von gewaltigen Ausmaßen“ und ein Jahr später in einer Rede an die Nation als „die größte geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts“ bezeichnet.
Man wollte damals – eigentlich bis zum 23.Februar 2022 – daraus keine Schlüsse ziehen und freute sich weiter über billiges Gas und Öl und über die schönen Geschäfte mit den Oligarchen.

Noch eine Leseempfehlung: die Multimilliarden-Großwäscherei der Deutschen Bank sorgte über ihre Moskauer Filiale dafür, zig Milliarden USD in Westeuropa u.a.für Wahlkämpfe unserer ultrarechten Demokratiefeinde verfügbar zu machen (investigativ recherchiert von der FT-Reporterin Catherine Belton und sehr detalliert in Ihrem Buch dokumentiert: Putin’s People).

Frei nach Lenin, der vor 100 Jahren meinte: … die Kapitalisten verkaufen uns den Strick, an dem wir sie aufhängen werden.

Nicht nur Politikerinnen, Publizistinnen und andere, durchaus kluge Menschen gehen für Verhandlungen „auf die Straße“.

Jürgen Habermas geht zwar nicht auf die Kundgebungen aber auch er will “rechtzeitig“ verhandeln und meint „sofort“.
Er meint, Teile der Medien seien “ … angetrieben durch den bellizistischen Tenor einer geballten veröffentlichten Meinung.“ Der Begriff “Bellizismus”hat, durch den Philosophen und andere Wohlmeinende gefördert – (ja, ich denke an die Wohlmeinenden in Jonathan Littells spannendem Kriegsberichtsroman mit denselben) Karriere gemacht. Er wird in der aktuellen Auseinandersetzung von den Verhandlern allerdings invektiv verwendet.Besonders in sozialen Medien

Der Begriff tut aber denjenigen Unrecht, die – als die wahren Pazifisten – den Frieden gegen Angreifer verteidigen wollen. Sie wollen sich verteidigen und wir rüsten uns (endlich) für den Krieg, um den Frieden zu verteidigen.
(Vegetius, Seantor in Rom, im vierten Jahrhundert, „Wer den Frieden will, muß für den Krieg rüsten“ … und viele kluge Menschen, seit Plato).

Waffen, mit denen sich Verteidiger des kategorischen Imperativs und der Macht des Rechts rüsten, sind Defensivwaffen. Dieselben Waffen werden von Agressoren zum Zweck des Angriffs auf ihre Nachbarn eingesetzt.
Die Waffenhersteller (Deutschland ist der drittgrößte Waffenexporteur) profitieren in beiden Fällen. Ironie dieser Konstellation: Deutschland selbst ist fast wehrlos.

Das vorerst betroffene Opfer der „Wiederauferstehung der Sowjetunion“ ist die Ukraine. Es ist also nicht nur strategisch falsch, zu glauben, daß dann in Europa der „Frieden“ (mit dem ukrainischen Friedhof) „zurückkehrt“.

Daß nur die Ukraine über die Möglichkeiten von Verhandlungen entscheiden kann, findet Habermas: „inkonsistent und verantwortungslos“.

Ich meine, umgekehrt ist logisch.

Habermas zitiert den Außenminister Litauens: „Wir müssen die Angst davor überwinden, Russland besiegen zu wollen.“
Ist dieser Satz eindeutig?
Offensichtlich nicht, denn Habermas legt ihn aus, wie er ihn verstehen möchte. Und ich paraphrasiere den Satz in die Eindeutigkeit so: wir müssen mutig sein, Russland zu besiegen.

Menschen glauben eben, was sie glauben möchten. Ich selbstverständlich auch.

Und die Philosophen.

Mein Lieblings-Süddeutscher (pensionierter Chefredakteur der Süddeutschen) Kurt Kister hat sich anschließend – auch am letzten Wochenende – als Habermas-Apologet zu dessen aktuellem Denkstück gemeldet.
https://www.sueddeutsche.de/kultur/juergen-habermas-ukraine-debatte-1.5753483

Die von Kister als von Habermas richtig gestellte Frage nach den Kriegszielen (der deutschen Waffenhilfe) kann ganz einfach so beantwortet werden: das Kriegsziel Putins* verhindern.
*die Tilgung der ukrainischen Nation

Vielleicht verhindert das Philosophieren klare Antworten auf zu einfache Fragen. Kister findet aber zur klaren Bestimmung unseres Standpunktes in dieser Debatte: „Rußland ist durch die verbrecherische Politik des Regimes Putin auch zu unserem Feind geworden“.

In der aktuellen Zeit schreibt der Politologe und Feuilleton-Redakteur Peter Neumann zu Habermas’SZ-Beitrag:
„Jürgen Habermas ist – so paradox es bei diesem Mann der europäischen Vernunft klingt – noch immer ein kalter Krieger. Weil er noch immer in den Kategorien der Welt vor 1989 denkt. Der Westen lässt sich nach Habermas wenn überhaupt, dann nur dadurch verteidigen, dass man ihn zugleich schärfstens selbst kritisiert.“
… und … : Während aus der »wertegeleiteten Außenpolitik« einer Annalena Baerbock längst ein neues Selbstbewusstsein des Westens und Europas spricht, besteht für Habermas noch immer jene nur aus der deutschen Geschichte zu erklärende Sorge, die doch vor der Freiheit besser die Vorsicht walten lässt.“
(Peter Neumann: „Seine Sorge“)

… wie Kister so auch ich werde Jürgen Habermas für seine Begründung der Notwendigkeit des Diskurses als wesentlichem Kraftstoff für die Instandhaltung der Demokratie und sein“der zwanglose Zwang des besseren Arguments“ immer dankbar sein.

Auch die noch ein paar hundert Jahre länger geübten und demokratie- und debatten-erfahrenen Briten finden im Dissens noch Konsens : „Let’s agree to disagree“.

P.S.: Warum heißt es „die“ Ukraine, statt Ukraine ohne Artikel? Wir sagen ja auch nicht „das Deutschland“. Ist das vielleicht der späteren Wahrnehmung der Ukraine als eigenständige, souveräne Nation geschuldet? Osteuropahistoriker Karl Schlögel meint, deutsche Intellektuelle wie Habermas, kennen die Ukraine nur als „flyover country“; sie kennen die Ukraine nur von der Landkarte her.

Hinweis: Prochaskos Artikel vom 18.Februar habe ich für mich mit Fotos kopiert und stelle diesen Beitrag gern in Kopie zur Verfügung. Dieser Artikel hat mich aufgewühlt; er war der Auslöser zu diesem Blog.

Ergänzung nach Michael Thumanns Leitartikel in Die Zeit vom 23.02.23 (Zitate): 

„Sie (Die Schwarzers, Wagenknechts, Welzers, Prechts) irren sich, in selbstgefährdender Weise. 

Und sie hören einfach nicht zu. Sie sollten ihm endlich zuhören: Wladimir Putin.

Putins Vision für Russland ist ein Todeskult, in dem es besser sei, auf dem Schlachtfeld als Kanonenfutter zu sterben als irgendwann später in einem Autounfall oder durch zu viel Wodka.

Ein Ultimatum vom Dezember 2021 legte Putins Absichten bloß. Darin forderte er den Abzug der US-Militäreinrichtungen samt Nuklearwaffen, den Rückbau der Nato und die Selbstentwaffnung Ostmitteleuropas. Er wollte die USA vom Kontinent vertreiben und die Nato funktionsunfähig machen, um selbst Kontrolle über wichtige Teile Europas zu erlangen.

Gerade Deutschland steht bei dieser Offensive im Fadenkreuz. 

Verhandeln hat (für Putin) keine Priorität, es sei denn für taktische Atempausen.“

um Putins Eroberungsdrang zu bremsen (ist der) Umbau der Produktionsketten und Versorgungswege im Westen (dringend notwendig). 

Putin könnte den Krieg von heute auf morgen beenden, indem er einfach aufhört zu schießen.