Fatalität 2
Israel verliert gerade den Krieg in den Medien. 2 Milliarden Muslime nehmen die Wirklichkeit in Gaza selektiv wahr. Nicht nur Muslime.
Der globale Antisemitismus, inklusive der deutsche, Verschwörungstheoretiker, Recep Erdogan und andere feiern HAMAS als Befreiungsorganisation und ignorieren den Terrorcharakter der Hamas … Diese selektive Wahrnehmung ist gefährlich für alle, auch für alle Muslime.
Der israelische Historiker Yuval Noah Harari formuliert heute in der SZ, am 27.Oktober 2023:
„Militärisch ist die Hamas unterlegen, politisch könnte sie gewinnen.
Das menschliche Leid im Gazastreifen in diesem Krieg ist unermesslich – und von den Fundamentalisten kühl kalkuliert: Es dient ihrem Ziel, einen dauerhaften Frieden zu verhindern.
Die Hamas schlachtete Hunderte israelische Zivilisten ab, und zwar auf die grausamste Art und Weise. Das unmittelbare Ziel war es, das israelisch-saudische Friedensabkommen zum Scheitern zu bringen. Das langfristige Ziel bestand darin, in den Köpfen von Millionen Menschen in Israel und in der gesamten muslimischen Welt die Saat des Hasses zu säen und so den Frieden mit Israel für kommende Generationen zu verhindern. Die Hamas wusste, dass diese Attacke die Israelis rasend vor Wut machen würde, und die Terroristen spekulierten darauf, dass Israel mit massiver Gewalt zurückschlagen und den Palästinensern großes Leid zufügen würde.
Im Gegensatz zu säkularen Bewegungen wie der Palästinensischen Befreiungsorganisation sind die Endziele der Hamas keine weltlichen. Für die Hamas sind die von Israel getöteten Palästinenser Märtyrer, die im Himmel ewige Glückseligkeit genießen. Je mehr Tote, desto mehr Märtyrer.
Sueddeutsche, am 27.Oktober 2023
Die Hamas ist also ein ‚Death Cult“und als solcher mit dem Islamic State vergleichbar … aber gefährlicher, weil dieser Death Cult von Iran und der libanesischen Hezbollah bewaffnet, finanziert und als proxy benutzt wird. Seltsam ist, daß hier Sunniten (Hamas) und Shiiten (Hizbollah und Iran), die sich seit dem siebten Jahrhundert aufs Messer bekämpfen, zusammenarbeiten …
Ähnlich übrigens wie bei Teilen der globalen Linken ist dieser unheiligen Allianz nicht der Frieden das Ziel, sondern absolute Gerechtigkeit.
Die gibt es nicht. Oder nur im Jenseits.
Die erfaßte Geschichte der Menschheit hat Kriege immer nur durch Kompromisse beendet.
Um Frieden auszuhandeln, sind Kompromisse normal und notwendig, geradezu wünschenswert.
Absolute Gerechtigkeit ist kompromisslos.
Wie geht es weiter?
Der Pfad hin zu einem Frieden im Gelobten Land wird wohl erst erkennbar, wenn sich der blutgetränkte Staub dieses gegenseitigen Abschlachtens erschöpft gelegt hat.
Noch ist die Welt gespalten und weder die eine noch die andere Seite ist bereit, die Leiden der jeweils anderen Seite anzuerkennen.
Netanyahu zählt am 25.10.in aufwühlend klarer Rede anlässlich der Pressekonferenz mit Macron ausführlich die Verbrechen der Hamas auf.
Der UNO-Botschafter Palästinas tut das Gleiche ebenso ausführlich einen Tag später in der UNO-Vollversammlung … über die Opfer der Palästinenser und die Verbrechen gegen die Menschlichkeit durch die IDF (Israel Defense Forces) in Gaza.
Dennoch versäumen beide das Gleiche.
Sie verlieren kein oder kaum ein Wort über die Opfer der „anderen Seite“.
Der Außenminister der Palästinensischen Autonomiebehörde, Riyad al-Maliki, warf Israel eine „koloniale Besatzung“ vor.
UN-Generalsekretär Guterres betont in New York, die Angriffe der Hamas gegen Israel seien nicht in einem Vakuum passiert und das palästinensische Volk sei „56 Jahre lang einer erdrückenden Besatzung ausgesetzt gewesen“. Israel fordert daraufhin seinen Rücktritt. … und die Süddeutsche meint, Guterres‘ Rede vom Dienstagabend ist ein Politikum und es schwingt nun immer auch die Frage mit, wer auf welcher Seite steht. Natürlich habe sich Guterres im Laufe seiner Ausführungen auch gegen die Gewalt der Terroristen ausgesprochen, doch das mache seine Relativierung der Attacke nicht ungeschehen.
Guterres sagte auch, der Groll des palästinensischen Volkes könne die entsetzlichen Angriffe der Hamas nicht rechtfertigen. Guterres weiter. „…und diese schrecklichen Angriffe können die kollektive Bestrafung des palästinensischen Volkes nicht rechtfertigen.“
Egal, was man zu den Fakten des Israelisch-palästinensischen Konflikts in dieser ‚glutaufgeheizten‘ Siutation heute sagt, Fakten werden gerade mit dem Prädikat ‚relativiert‘ deligitimiert.
Wenn die Waffen weggestellt werden sollen und rational verhandelt werden soll, muss das aufhören.
Kornelius von der SZ versucht am 20.Oktober eine Annäherung an die Komplexität des Nahostkonflikts mit seinem Beitrag „Stets Opfer, nie Täter„, einer Chronologie der Geschichte des Konflikts, und diese Geschichte beginnt er 1881 mit einem Zitat Moshe Leib Lilienblums, der in seinem Tagebuch den Horror einer Pogromwelle beschreibt, der nach der Ermordung des Zaren Alexander II.durch Russland wütet und den er und seine Familie in einem Keller in Odessa überlebte.
Es war wohl dort und in jenen Schreckenstagen, als die Idee des Zionismus entstand. Lilienblum bildete mit Mitstreitern in Odessa den Kern der Sammlungsbewegung Chovevej Zion. “ … nur ein eigener Staat, die Wiedergeburt des jüdischen Volkes in Palästina, kann die Glaubensbrüder und -schwestern schützen. …
Der Zionismus ist bis heute die treibende Kraft hinter der Besiedlung von etwa 26 000 Quadratkilometer Land unterhalb des Litani-Flusses im Norden, mit dem Jordan im Osten, dem Golf von Akaba im Süden und dem Mittelmeer.“
Dieser politischen, heute nicht mehr primär religiösen Gemeinschaft der Zionisten vorausgegangen, sind verstärkt seit etwa 1805 vor allem religiös motivierte Einwanderer. Seit dem frühen Mittelalter kamen immer wieder Einwanderer aus aschkenasischen und sefardischen jüdischen Gemeinden nach Palästina, um bei dortigen Rabbinern das jüdische Gesetz zu studieren und um das Gebot, im Lande Israel zu leben, zu erfüllen, aber auch um hier ihre letzte Ruhestätte zu finden. In der Regel passten diese Einwanderer ihre Lebensweise der orientalischen Umgebung an.
Kornelius versucht ein Résumé: „Im Konflikt zwischen Palästinensern und Juden hat es zu oft an einem Sinn für berechtigte Ansprüche der anderen Seite gefehlt. Auch heute ist das nicht anders.“
Das empfinde ich ‚gegenteilig‘: berechtigte Ansprüche hat es auf beiden Seiten immer gegeben – und es gibt sie noch – diese sind berechtigten Ansprüche – sie sind protokolliert in den vielen Verhandlungen.
Beide, die Palästinenser und die Juden, berufen sich bei Geltendmachung ihrer Ansprüche auf ihre Religion (sind diese beiden „imagined communities“ Ethnien kraft Religion?
Das sind allerdings keine idealen Voraussetzungen für eine Einigung …)
Achtung: in Palästina leben seit Jahrhunderten Christen und heute immerhin fast 150.000. Zuviele, um sie zu ignorieren.
In Israel wird auf das “jüdische Blut” Bezug genommen- Israel nennt sich “jüdischer Staat”. Das klingt beängstigend nach Rasse!
Israel ist demnach heute ein identitärer Staat. Das muß man im Hinblick auf den globalen Antisemitismus, als Reaktion jüdischer Menschen darauf und die seit den Zeiten des Römischen Reichs verübten Pogrome, Verfolgungen und Diskriminierungen verstehen und billigen, ja, sogar unterstützen.
Es ist aber ein Dilemma, weil das auf Kosten der indigenen Bevölkerung Palästinas, also den Palästinensern, geht – seit mindestens hundert Jahren (aktuelle Leseempfehlung: “The Hundred Years War on Palestine” von U.S.-Politikprofessor Rashid Khalidi, aktuell New York Times Bestseller, liest sich sehr persönlich und unterstützt eine ausgewogene Betrachtung des Konflikts).
Da fällt mir noch ein: es sind ja wohl beide ‚Ethnien‘, die jüdische und die palästinensische, semitisch.

Es ist höchste Zeit für eine Wiederaufnahme der Gespräche der Menschenführer aus Palästina und Israel (wer sind diese?) und diese Gespräche müssen im Geist der Väter der Oslo-Vereinbarungen geführt werden: „Verhandlungen führen, als gäbe es keinen Terror„(der vom Ministerpräsidenten Jitzchak Rabin herausgegebene Slogan bekommt heute Aktualität.
Rabin wurde wenig später von einem Fanatiker aus dem Likud-Umfeld ermordet).
Der aktuell regierende Ministerpräsident Israels Netanyahu ist Likud-Chef. Inzwischen wollen 70 % der israelischen Bürger, darunter eben auch Likud-Wähler, Netanyahu in die Wüste schicken …
Sieben Jahre nach der Oslo-Vereinbarung, in 2000, wurde ein Teilungsplan (siehe Abb.aus Dennis Ross’Studie aus 2004) im Oslo-Rahmen verhandelt, den Arafat bei seinen Kollegen in Ramallah allerdings damals nicht durchsetzen konnte: Camp David II.
Der Twin Tower-Anschlag in NYC ein Jahr später und der sog.Antiterror-Krieg gegen Irak und in Afghanistan verschlimmerten die Situation in der Region um eine volle Drehung. Al Kaidas Anschlag hat also auch langfristig – bis heute – Erfolg.
Dieser Camp-David-Plan (Gastgeber Bill Clinton als Moderator mit politischen Machtmitteln) der damaligen Kontrahenten Ehud Barak und Yassir Arafat würde von der heute erhobenen Mehrheit in Israel angenommen (meine Überzeugung) und, wenn es im Westbank eine echte demokratische, „ungetürkte“ Abstimmung (Volksabstimmung) gäbe, auch dort eine Mehrheit gewinnen, ganz sicher vom säkularen Anteil der Bevölkerungen diesseits und jenseits der israelisch-palästinensischen Grenze.

Überall, jetzt besonders in Israel, dem Westbank und den angrenzenden Ländern Ägypten, Jordanien, Libanon und Syrien, will die Mehrheit der Menschen zur Ruhe kommen und Frieden. Die Iran-Stellvertreter, also Hamas, die anderen Jihadis dort, der Libanon (Hezbollah) und Syrien (das Assad-Regime) werden versuchen das zu verhindern.
Für den Iran wäre eine solche Einigung eine Katastrophe. Das Scheitern würde das Ende des Mullah-Regimes einläuten (können). Das muß eigentlich im Interesse Saudiens und Ägyptens liegen.
Die jüdischen Neusiedler in Ostjerusalem und dem palästinensischen Westbank können kompensiert werden. Im Interesse eines dauerhafteren Friedens gibt es diesen Kompromiss.
Was sonst?
Über die Haltung der die Hamas unterstützenden Türkei darf spekuliert werden.
Die Seismik der Auswirkungen einer wenigstens vorläufigen Befriedung des Nahost-Konflikts würde wohl auch Moskau erreichen.
Es darf gehofft werden.