immer noch nicht …
„Wenn wir die Ehrfurcht vor menschlichem Leben verlieren, dann laufen wir Gefahr, mit denen verwechselt zu werden, denen wir entgegentreten.“
Sagt Antony Blinken.
Trotz laufender oder immer wieder neu einsetzender Verhandlungsinitiativen – kein Ende in Sicht.
Stattdessen wächst die Gefahr täglich, dass sich dieser aktuell „in etwa“noch auf die Levante begrenzte Krieg auf andere Gebiete ausweitet. Man ist sich fast einig, dass Iran „sich für den Anschlag in Damascus auf deren Botschaft und die Liquidierung eines weiteren Generals der iranischen Revolutionsgarden in den nächsten Wochen rächen wird“. Nur über das „wann, wo und wie“ wird gerätselt.
Irans Interesse an der Ausweitung dieses z.Z.noch auf Gaza fokussierten Kriegs ist sogar größer als das deren Proxies(*) im Libanon, Syrien und Yemen, weil die ökonomische Situation im Iran für die Iraner selbst für die Führung immer gefährlicher wird.
(*) „Stellvertreter“ in unserer Sprache
Und auch Netanyahu braucht den Krieg, weil er die Wahlen nach einer Beendigung der Auseinandersetzung verlieren, seine politische Karriere zuendegehen und er wahrscheinlich sogar im Gefängnis landen wird.
Israels Minister für nationale Sicherheit, Itamar Ben-Gvir, droht, die schlimmste aller bisherigen Netanyahu-Regierungen zu verlassen, falls die IDF (Israel Defense Forces) nicht in Rafah einmarschieren oder wenn der Krieg „vorzeitig beendet“ wird. Netanyahu kann ohne den vorbestraften Ben-Gvir und die anderen Rechtsaußen und Orthodoxen nicht regieren. Das ist Erpressung.
Netanyahu muss also diesen“Kurs“durchhalten bis sein Freund Trump Biden im Weißen Haus ersetzt.
Wer also keinen der sehr schlechten aktuellen Ausgänge nehmen will, muss einen zweitschlechtesten Ausgang suchen.
Dieser liegt nach meiner Einschätzung in einem weiterentwickelten Oslo 2 (Stand bei Ehud Olmerts Premierschaft, also vor etwa 15 Jahren) oder einer Etappenlösung auf dem Weg zu einem souveränen Palästina „in der Schublade“.
Eine vorläufige 2-Staatenlösung ist eine Etappe und kann nur eine solche sein, weil ein souveränes Palästina auf einem zweigeteilten Territorium (Westjordanland und Gaza) nicht konsolidiert, also auf Dauer lebensfähig sein kann.
Zu mehr wird es wohl jetzt und für eine gewisse Zeit nicht reichen.
Was müssen wir hier tun? bzw.welches Verhalten ist richtig?
Polens Ministerpräsident Donald Tusk meint – nach dem Massaker an den World Central Kitchen-Mitarbeitern in Gaza vorige Woche – die Solidarität mit Israel werde derzeit „einer wirklich harten Probe unterzogen“. Das hat Tusk als Regierungschef eines EU-Landes mit einem ziemlich großen Antisemitismus-Problem so gesagt, dass das für die ganze EU gesagt werden kann.
Wir haben hier im grössten Land der EU sogar damit ein Problem, weil die Mehrheit hier „gefühlt“ so sehr ein Juden-Israel-Problem hat, dass jede Kritik an Israel zum Antisemitismus-Verdacht führt oder führen kann, unter anderem belegt mit Ausladungen und Behinderungen Kulturschaffender, PhilosophielehrerInnen, Soziologen, Künstler etc.
Dazu ist in den Medien einiges geschrieben worden.
Wenn man Kritik an der Kriegführung Israels formuliert, riskiert man mindestens die „gelbe Karte“, wenn man das Massaker der Hamas und deren zynische Inkaufnahme der Opferung der eigenen palästinensischen Bevölkerung unerwähnt lässt. Die Erwähnung der Vertreibung von 800.000 palästinensischen Indigenen mit dem Begriff Nakba („Katastrophe“für die Vertriebenen) in 1948 ist bereits antisemitismus-verdächtig.
Verständnis für die Menschen, die aus ihrer Heimat vertrieben wurden, habe ich – selbst aus Schlesien „vertrieben“ – durchaus. Der Unterschied ist nur, dass der Staat, den ich mit meinen Eltern bis 1945 bevölkert hatte, mit dem Holocaust ein Jahrtausendverbrechen begangen und „bei der Gelegenheit“ auch zigtausende Polen, Ukrainer, Russen (vom Historiker Timothy Snyders in „Bloodlands“akribisch belegt) ermordet hat.
Die Palästinenser – in mancherlei Hinsicht (nicht nur in puncto Bewaffnung) – den jüdischen Siedlern und Einwanderern haushoch oder besser“kellertief“unterlegen, hatten keine Chance. Sie sind seitdem(!) immer noch Vertriebene und Flüchtlinge in vielen Ländern. Und das in der xten Generation.
Wenn man Verständnis für dieses staatenlose Volk hat, ist man damit nicht Antisemit, noch nicht einmal Antizionist.
Wir müssen Kritikwürdiges in Israel (und im Westjordanland und in Gaza) unbedingt kritisieren, weil wir solidarisch sind und gerade wir dazu beitragen müssen, dass dieses unmenschliche Verfahren beendet wird und alle Menschen in der Levante in Frieden miteinander leben können.
Ich erinnere an meinen Blog im November und an Omri Boehms Gespräch mit Precht. Für Boehms Unversalismus-Konzept gibt es eine lebende Anwendung in Haifa, beschrieben in seinem Buch „Haifa Republic“.
Ich werde an der ECONOMIST-Online-Veranstaltung „Israel and the Middle East: elusive peace“ am18.April teilnehmen und berichten. Ich habe zu dieser Veranstaltung die Frage nach der Territorialität einer 2-Staaten-Formel eingebracht.
Ist ein Zusammenleben der beiden Völker möglich oder nur Koexistenz?
Es ist an der Zeit sich heute, mehr als 20 Jahre nach seinem Tod an den großen und großartigen Palästinenser Edward W.Said zu erinnern.
In Jerusalem geboren war dieser einst in Princeton lehrender Literaturwissenschaftler („Den Orient gibt es nicht“) auch palästinensischer Patriot. Er starb 2003 in New York.
Said gründete mit Daniel Barenboim,
einziger Israeli mit palästinensischer Ehrenbürgerschaft,
das weltberühmte West-Eastern-Divan Orchestra.
https://youtu.be/CzruBBAzLdE?si=9ic-vTGfteD2EyzO
Ich schliesse diesen Blog mit dem Said-Zitat:
„Der Humanismus ist der einzige – ich würde so weit gehen zu sagen der letzte – Widerstand, den wir gegen die unmenschlichen Praktiken und Ungerechtigkeiten haben, die die menschliche Geschichte entstellen. Die Trennung zwischen den Völkern ist keine Lösung für irgendeines der Probleme, die die Völker spalten. Und die Ignoranz gegenüber dem Anderen ist sicherlich keine Hilfe. Kooperation und Koexistenz, wie sie die Musik, wie wir sie gemeinsam gelebt, aufgeführt, geteilt und geliebt haben, sein könnte.“