America updated
„Sprache ist mehr als Blut“ *
David Frum ist ein konservativer kanadisch-US-amerikanischer politischer Journalist und Buchautor. Er war ökonomischer Redenschreiber des früheren US-Präsidenten George W. Bush und Mitarbeiter beim American Enterprise Institute und ist z.Z.Senior Editor von The Atlantic und MSNBC contributor. MSNBC ist nach FOX NEWS der am meisten genutzte Nachrichtensender der US. Frum schreibt nach dem Trump-Attentat und vor Bidens Aufgabe seiner anstehenden Präsidentschaftskandidatur in The Atlantic (übersetzt):
„Andere Gesellschaften sind aufgrund einer außergewöhnlichen Krise in den Autoritarismus zurückgefallen: wirtschaftliche Depression, Hyperinflation, militärische Niederlage, Bürgerkrieg.
Im Jahr 2024 befinden sich die US-Truppen nirgendwo im Krieg. Die amerikanische Wirtschaft boomt und sorgt für spektakulären und weit verbreiteten Wohlstand. Das kurze Aufbäumen einer leichten Inflation nach der Pandemie ist überwunden. Die Indikatoren für die soziale Gesundheit haben sich seit Bidens Amtsantritt schlagartig zum Positiven gewendet, nachdem sie sich während Trumps Amtszeit jahrelang verschlechtert hatten. Die Kriminalität und die Zahl der tödlichen Drogenüberdosierungen sind 2024 rückläufig; Eheschließungen und Geburten nehmen zu. Selbst die (gewohnten)Probleme des Landes bestätigen indirekt den Erfolg des Landes: Migranten kommen zu Hunderttausenden über die Grenze, weil sie wissen, auch wenn die Amerikaner es nicht wissen, dass der US-Arbeitsmarkt zu den heißesten der Welt gehört.“
Und doch – trotz all dieser Erfolge der Biden-Präsidentschaft (es bleiben nur noch ein paar Monate) – erwägen die Amerikaner eine Form der Selbstbeschädigung, die in anderen Ländern üblicherweise auf die schlimmsten nationalen Misserfolge folgt: Sie lassen den Urheber eines gescheiterten Staatsstreichs ins Amt zurückkehren, um es erneut zu versuchen.“
Und dennoch wird Trump frenetisch bejubelt, wenn er sagt, Biden sei der schlechteste Präsident gewesen und sein erwählter Kronprinz Vance rezitiert das im lockeren Ton der Selbstverständlichkeit. In den Versammlungen der MAGA-Bewegung und in Interviews der Trump-Anhänger ebenso sind es Lügen und Unanständigkeiten über die „Anderen“,

Das „stand up and be counted“(mit eigener abweichender Meinung) ist nicht nur unerwünscht, sondern gefährlich.
Das Farbphoto wurde vor einer Woche anläßlich der Kandidatensalbung in Butler, Pennsylvanien, USA aufgenommen. Das (aus einem alten Filmstreifen kopierte) Schwarzweiss-Photo zeigt die Begeisterung der Deutschen im Berliner Sportpalast anläßlich der Goebbels-„Wollt Ihr den totalen Krieg“-Rede im Sportpalast 1942.
„Eigene Meinung war und ist in solchen Massenveranstaltungen – und auch sonst – nur erlaubt, wenn übereinstimmend mit der Massenmeinung. Diese ist kompatibel mit der Meinung des Führers.(„der Führer – gottgleich – hat immer recht“) Typisch Amerika? Nein, nur die linguistische Sprache ist amerikanisch-englisch.
Die Toxizität ist die gleiche.
Sprache schafft Realität.
Sprache ist Politik.
Sprache ist das ganz besondere Machtmittel der Usurpatoren und der illiberalen Politikbetrüger, der Putins und seiner Propaganda-Beauftragten (Putins Pressesprecher, der gelernte Diplomat Dmitri Sergejewitsch Peskow ist Meister des „Spins“), auch einiger Demagogen in unserer EU.
Eben der Trumps der Welt.
Sie lügen, wenn sie den Mund aufmachen … der “Große Bruder”in 1984, die Bücherverbrenner in 256 Fahrenheit … , die Hitlers – eher mehr als weniger entstellt, immer entstellend.
Der Philologe und Romanist Viktor Klemperer hat in seinen Tagebüchern in der Zeit von Weimar bis 1957(in der DDR) diese Bewusstseinsvergiftung (K.O.-Tropfen der besonderen Art) in Weimar, während des Dritten Reichs und in der DDR täglich erlebt und täglich aufgeschrieben.
Eine im Wortsinn spannende, auf jeden Fall ungewohnte Form der Historiographie (der Podcast dazu im Deutschlandradio Kultur ab 29.Juli: „Die Geschichte geht weiter“**) ist täglich aufgeschriebene Geschichte, wie sie von Tag zu Tag in der Gegenwart entsteht und erlebt wird. Geschichtsschreibung, das ist eigentlich die Beschreibung von Ereignissen in der abgeschlossenen, in der mehr oder weniger lang zurückliegenden Vergangenheit.
Der exzellent deutsch sprechende, in Deutschland lebende amerikanische Politikwissenschaftler Andrew Dennison ist „fassungslos“(vor etwa einer Woche im DLF-Interview) über die Ereignisse, die sich gerade hochfrequent in Amerika ereignen.
Das Wort, gleichsam Diagnose seines Zustands, hat ihn in seinem Entsetzen über die Entwicklung in seinem Land während des ganzen Interviews nicht mehr losgelassen – am Ende dann noch die „Fassungslosigkeit…“.
Ich versuche, seitdem ich diese unterschiedlichen „Sprachen“ und wie diese aufgenommen und übernommen werden, dabei selbst zunehmend fassungslos, zu verstehen, wie diese Vereinnahmung der „Bewusstseine“ (den Plural gibt es sicher nicht) vor sich geht.
Bisher habe ich die „Gläubigen“ einfach für ungebildet oder dumm gehalten.
Aber so einfach ist es nicht. Auch gebildete Menschen glauben offenbar, was sie glauben wollen oder was Ihnen gesagt wird, was sie glauben sollen.
Da fällt mir ein Aphorismus Roger Ailes‘ (ex-CEO des konservativen TV-Senders Fox News) ein:
„Wahrheit ist das, was die Leute glauben wollen“.
Aphorismus oder Maxime?
Mit dem Phänomen der Massen haben sich die Psychologen, respektive Philosophen Le Bon („Psychologie der Massen“), Ortega-y-Gasset („Der Aufstand der Massen“), besonders Canetti („Masse und Macht“) beschäftigt – fasziniert, wie sich der Einzelne gleichsam in diesen homogenisiert, in der Masse aufgeht. Das dabei applizierte Gift ist vor allem Sprache.
Viktor Klemperer beobachtete im Verlauf seiner Tagebuchaufzeichnungen von 1924-1957, wie sehr sich In-dividuen (die nicht mehr Teilbaren) in Mehrheiten, den Wir-Kollektiven zuhause fühlen, auch darin verstecken können.
In Amerika gibt es jetzt eine kämpferische Kamala Harris, die fast 20 Jahre jünger ist als der alte Knacker Trump.
Ich 83-jähriger wünsche mir, dass Kamala diesen verurteilten Serientäter richtig alt aussehen lässt.
* Franz Rosenzweig, Philosoph, Theologe
Leseempfehlungen:
Die Zeit, Nr.30: Die Trump-Partei,
Die Zeit, Nr.31: Im Gebet vereint,
Die Zeit, Nr.32: Amerika ist bereit für eine Präsidentin.
Viktor Klemperers LTI (Lingua Tertii Imperii ‚Sprache des Dritten Reich[e]s‘), Reclam Taschenbuch, auf kindle auch digital.
** Aktuell dazu der Podcast „Die Geschichte geht weiter“ab 29.Juli.https://www.deutschlandfunkkultur.de/klemperer-podcast-trailer-lang-mit-datum-dlf-kultur-5b33bc4d-100.html
Nachtrag: heute, am 28.Juli, wird in Venezuela gewählt. Meinungsforschungsinstitute sagen eine deutliche Mehrheit für die Opposition voraus. Die Ergebnisse werden also sehr wahrscheinlich gefälscht werden.
Der Autokrat Maduro ist ein spektakuläres Beispiel für Demagogie mit Tanzeinlagen, seine „wortgewaltigen“ Auftritte, die Sprache der „neuen Elite“ sind ins alltägliche Vokabularium der zuhause gebliebenen Venezolaner eingesickert.