Das Gelobte Land, eine Utopie
Was hat Gaza mit Antisemitismus, mit Antizionismus zu tun … und was mit Genozid … und mit unseren Waffenlieferungen an Israel?
Vorallem:
Wie kann der 100-jährige Konflikt beendet werden? Und wer kann verhandeln? Wer hat die Statur? Wer hat den Mut, die notwendigen Kompromisse mit der eigenen Gemeinschaft und mit den Nachbarn auszuhandeln?
Welche Rollen spielen Yahya Sinwar (jetzt Supremo der Hamas)
… und Marwan Barghouti (PLO, seit 2005 im Gefängnis)?
Und kann man, soll man … mit Terroristen verhandeln?
Die Geschichte bietet genug Beispiele für Konflikte, die nur mit den Tätern gelöst werden konnten. Die Täter sind auf beiden Seiten zu finden. Und nicht nur im „Gelobten Land“ … Dort können nur die Täter eine Lösung herbeiführen.
Und wer – außer den Tätern – hat keinen Anteil an der Schuld, die ursächlich zu diesem 100-jährigen Konflikt geführt hat?
(*** Balfour und die Folgen – Erklärung von 1917 am Ende des Blogs)
Deutschland hat nicht nur als Erfinder und „Urtäter“des Holocaust unermessliche Schuld. Dieses Deutschland ist somit auch schuld am Elend Palästinas.
… und ist jetzt auch unmittelbar Mitverursacher an der aktuellen, tagtäglichen Katastrophe in Gaza:
Deutschland hat nach dem 7.Oktober 3.000 Panzerbrecherbomben nach Israel geliefert, obwohl weder Hamas, noch islamischer Djihad Panzer haben.
Ein Gastbeitrag in der NYTimes zu den Panzerbrechern vom 20.08.: „Jeder, der mit deren Einsatz in Bürgerkriegen vertraut ist, weiß oder sollte wissen, dass diese, besonders wenn sie gegen einen Feind eingesetzt werden, der keine Panzer hat, wie es in Gaza der Fall ist, dazu benutzt werden, um Häuser und andere Gebäude mit der verheerenden Wirkung zu treffen und so wahllos alle darin befindlichen Personen zu verbrennen.„
Mitschuld Deutschlands also an der Zerstörung von Gebäuden in Gazah … und der Menschen, die darin leben. … und Deutschland äußert sich unangemessen leise zur kontinuierlichen Verdrängung der indigenen Palästinenser im Westjordanland.
Während ich das schreibe, verschlimmert sich die Lage in allen Gebieten, die von Palästinensern bewohnt werden. Die jüdischen Israeliten sehen in jedem Araber einen Terroristen
(ja, es gibt in diesem jüdischen Staat Israel auch arabische Bürger …). „Terrorist“, ein neuer Rassebegriff.
Überschrift des wöchentlichen +972-Newsletters : „Israelis’ dehumanization of Palestinians is now absolute.“ (+972 ist die Vorwahl Israels): +972 zitiert aus einem Brief des Shin-Bet(*)-Chefs Ronen Bar:
(*) Shin Bet=israelischer Inlandsgeheimdienst
„Die Angriffe extremistischer jüdischer Siedler auf Palästinenser im Westjordanland seien nicht einfach nur nationalistische Gewalt. Das Ziel der Attacken sei vielmehr, „Angst zu verbreiten“, und das sei „Terrorismus“ – eine Selbstbezichtigung. „Der Schaden für den Staat Israel und den Großteil der Siedler ist unbeschreiblich.“ Denn die Folgen seien „weltweite Delegitimierung, sogar bei unseren stärksten Verbündeten“, eine zusätzliche Belastung für das israelische Militär, das ohnehin gerade mehrere Missionen gleichzeitig zu erfüllen habe, und ein „massiver Makel für das Judentum und für uns alle“.
Der vorbestrafte Minister für Sicherheit („Polizei-Minister“ Israels) Ben-Gvir will Bar deswegen entlassen.
Und die Hamas?
Schützt die gewählte Hamas – de facto Regierung Gazas – die Bürger in ihrer Obhut, die Frauen, Kinder, die Alten ?
Von wegen.
Nach den bekannten, täglich medial dokumentierten Informationen muss das Gegenteil angenommen werden:
die Hamas opfert strategisch motiviert und zynisch die ihr anvertraute Bevölkerung.
Nicht nur die Strategie, auch die Religion rechtfertigt hier solche ’notwendigen‘ Opfer – todeskultisch grundiert.
Ayelet Shani, von der Ha’aretz, interviewte Yahya Al-Sinwar, HAMAS-Führer in Gaza: „Ich fragte Sinwar: ‚Ist es das wert, dass 10.000 Gazaner sterben?‘ Er sagte: ‚Selbst 100.000 sind es wert‘.“
Netanjahu hat dieses Monster genährt – auch strategisch. Er wusste, dass Sinwar einen Großteil des hauptsächlich aus Qatar stammenden Geldes für den Kauf von Waffen und den Ausbau der „Gaza-Metro“, des Systems von Tunneln und Bunkern, verwendet.
Statt die Gaza-Bürger zu versorgen, kaufte Sinwar Waffen.
Am 21.08.berichtet die Jerusalem Post über eine Frau aus Gaza, die am Dienstag eine Live-Übertragung von Al Jazeera English unterbrach: „May Allah curse Sinwar, Hamas.“
Hamas ist wie die PLO (inzwischen der bewaffnete Arm der palästinensischen Autonomiebehörde) oder früher die PFLP (Popular Front for the Liberation of Palestine) eine Befreiungs-Organisation, die – wie alle sogenannnten Befreiungsorganisationen – zur Terrororganisation metamorphisierte.
Die Vorgänger des Likud, die Irgun Zwai Leumi, waren eher eine Miliz als eine Befreiungsorganisation. Die Irgun war eine Untergrundorganisation, die britische Völkerbundsmandatare ermordete, Terrorakte und Massaker gegen Briten und Palästinenser beging.
Die Irgun war somit auch eine Terror-Organisation, eine Organisation, die im prä-israelischen Palästina, d.h., bis zum Tag der Gründung Israels am 14.Mai 1948 (und auch danach …) das Gelobte Land terrorisierte.
Die jüdische Irgun Zwai Leumi ging im Lauf der Zeit und der staatlichen Entwicklung des jungen Staates Israel in mehreren Entwicklungsschritten im Likud-Block auf. Dieser ist ursprünglich aus einem revisionistisch-reaktionären und einem liberal-rechten Teil entstanden.
Seit 1996 ist der Likud mit kurzen Unterbrechungen und mit Netanjahu als Führer stärkste Partei im Knesseth, dem israelischen Parlament. 
Führer des Irgun waren u.a.Menachem Begin (Israels Premier 1977-1983 und Nobelpreisträger) und Yitzak Schamir (Israels Premier 1983-1986). Diese wurden bedeutenden Politikern, die gegen den Terror der Palestine Liberation Organization (PLO) unter Yassir Arafat – auch ein Nobelpreisträger – und der (PFLP) kämpften. Geläuterte Terroristen können also zu Friedensnobelpreisträgern werden.
Hintergrund mit Bezügen zu den heute noch starken revisionistischen Teilen des Likud (bei uns „rechtsnational“ und reaktionär):
Eine angeblich radikalere jüdische Befreiungsorganisation, die („terror-maximalisitsche“) Lechi spaltete sich 1940 (Stern*-Gang) von dem Irgun ab, weil der Irgun vorübergehend versuchte, sich mit den Briten zu arrangieren … Lechi nahm für ihren Kampf gegen die Briten in Palästina die Hilfe des faschistischen Italien in Anspruch.
(*) Avraham Stern, genialer Chef der Lechi, Terrorist und Poet.
Die Lechi war der unter Leitung Wladimir Jabotinskys (Mitbegründer des Irgun, Gründer der jüdischen Legion und Führer der revisionistischen = extremistischen Fraktion der Zionisten) stehenden Gruppierung zuzurechnen, die mit den Nazis gegen die Briten kooperieren wollten und in Italien mit Mussolinis fascisti braunbehemdet mitmarschierten und paradierten … (der „Feind meines Feinds – dort die Briten – ist mein Freund„).
Auf das Konto des Likud-Vorgängers Irgun geht der Terroranschlag auf das King-David-Hotel in Jerusalem, in 1946, bei dem 91 Menschen umkamen. Es gibt eine Liste von Anschlägen des Irgun unter der Leitung Begins … und nach Angaben von Elieser Sudit, Sprengstoffexperte und Terrorist, war Menachem Begin der Auftraggeber Sudits für einen versuchten Bombenanschlag gegen Bundeskanzler Konrad Adenauer am 27. März 1952. (also vier Jahre nach der Gründung und völkerrechtlichen Legitimierung des Staates Israel).
Beim Versuch, die Bombe zu entschärfen, kam ein deutscher Brandmeister der Feuerwehr ums Leben. Das Foto zeigt Begin mit Carter und dem Kollegen Sadat aus Ägypten, mit dem der ehemalige Terrorist Begin 1978 den Nobelpreis erhielt.
Um sich ein Bild von erbanlagenweise angelegten Motiven des Likud-Politikers Benjamin Netanjahus zu machen, erinnere ich an die Bedeutung und den Einfluss Netanyahus Vaters, des Historikers Benzion Netanyahu. Der war Sekretär Jabotinskys bis zu dessen Tod in 1940 und danach Geschäftsführer der New Zionist Organization (Nachfolge der Revisionisten).
Die jahrzehntelang dominierende und aktuelle Mehrheitspartei des Knesset, der Likud, hat also eine Vergangenheit als Terrororganisation (Irgun 1931-1948 … 1952).
Mit Benjamin Netanyahu ab 1995 bis heute, als Premier und aktuell als Koalitionsführer … sollte die aktuelle Regierung direkt mit den „Kollegen“von der Hamas verhandeln?
Netanyahu und Sinwar sind insofern „Brüder im Geiste“ als keiner von beiden an einer friedlichen Beendigung des Konfliktes interessiert ist.
Netanyahu nicht, weil er sich im Gericht Tatbeständen der passiven Bestechungen und Veruntreuung stellen müsste und bei der manifesten Beweislage mit Verurteilung und hohen Gefängnisstrafen rechnen müsste.
Sinwar auch nicht, weil er als mehrfacher Mörder, Chef-Terrorist und Geiselnehmer (auch seines eigenen Volks) den Rest seines Lebens im Gefängnis verbringen müsste.
Inzwischen baut sich seit einigen Monaten der Druck im Norden auf. Daraus droht nun ein Zweifrontenkrieg zu werden.
Generalmajor Yitzhak Brik, in Ha’aretz:
Israel Will Collapse Within a Year if the War of Attrition Against Hamas and Hezbollah Continues.
Neben der materiellen Gefahr eines totalen frontmultiplen Kriegs, in den auch alle Unterstützer der jeweiligen Seite impliziert (USA, Europa) werden, wird auch das humanistische System der universalistischen Gesellschaft „tsunamisch“ erfasst.
Aus ‚Foreign Affairs‘ (Juli 2024):
„Auf seinem derzeitigen Kurs könnte sich der Staat (Israel) in etwas verwandeln, das die humanistische jüdische Vision zerstört, die viele seiner Gründer und Unterstützer in der ganzen Welt inspiriert hat. Es ist noch nicht zu spät für Israel, sich vor seinem eigenen Untergang zu retten und einen anderen Weg zu finden.„
Mit all dem muss jetzt Schluss sein!
Der erste wichtige Schritt in zu einer echten Verhandlung zwischen den Protagonisten Israel und Palästina ist die verbale Abrüstung.
Die mediale Abrüstung sollte hier vorangehen – auch wenn’s Proteste und Auflagenverluste (oje!) gibt.
Genozid
Dieser Begriff steht für das Menschheitsverbrechen, besser: d a s Menschheitsverbrechen schlechthin, dem Holocaust. Also ein Begriff, der ungeachtet seines Gewichts, seiner medialen Wirkung, auch seiner Definition und seiner potenziellen und effektiven Toxizität mittlerweile inflationär gebraucht wird.
Welche Definition?
Die Vereinten Nationen verabschiedeten am 9. Dezember 1948 als ihre Definition die Völkermordkonvention, die Völkermord zu einem Verbrechen nach internationalem Recht macht … und ergänzt:
Die Täter zeigen ausdrücklich den ‚dolus(**)specialis‘ oder die spezifische Absicht, „die Gruppe als solche ganz oder teilweise zu vernichten“, die erforderlich ist, um eine Tötung als Völkermord zu betrachten.
** dolus = List, Hinterlist, (böser) Vorsatz
Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit sind schwerwiegende Handlungen und eine „Untermenge“zum Begriff des Genozids.
Die spezifische Absicht Israels – selbst vom Holocaust traumatisiert – ist es, die Täter zu eliminieren und einer Wiederholung wirksam vorzubeugen.
Es gibt aber eine völkerrechtliche Festlegung, die es verbietet, Räume, Bereiche, Gebäude (wie Krankenhäuser, Schulen u.ä.)anzugreifen, bzw.zu zerstören, die mehrheitlich von Non-Kombattanten, also nicht kämpfenden Zivilisten genutzt oder bewohnt werden.
Israel begeht in Verfolgung seiner militärischen Ziele Kriegsverbrechen.
Aus dieser auf die Bekämpfung der Terroristen gerichteten Absicht, ergeben sich – das klingt nicht nur zynisch; es ist zynisch – kollaterale Schäden, die in dieser Auseinandersetzung nicht vermeidbar sind.
Wie in jedem Krieg. Jeder Krieg ist demzufolge Kriegsverbrechen.
Antisemitismus
Es muss, wenn man die „Mission“Sinwars und seiner Mitterroristen verfolgt, auch erkennbar für alle Seiten gemacht werden, dass die Hamas und der Islamische Jihad diese Konstellation absichtlich herbeigeführt haben und weiter herbeiführen, um Israel zu provozieren und weltweit zu diskreditieren und in der Folge auf diese Weise den Antisemitismus explosiv, geradezu epidemisch und global wachsen zu lassen.
Peter Schäfer, deutscher Judaist, Hochschullehrer und Antisemitismus-Experte zum Antisemitismus in muslimischen Gesellschaften:
„Von einem Hass auf die Juden, wie er sich zum Beispiel im Johannesevangelium findet, ist im Koran nichts zu sehen. Mohammed wollte die alte Religion Abrahams (Ibrahims) wiederherstellen, so, wie sie vor ihrer Verfremdung durch Juden und Christen bestanden habe. Insofern sah der Islam das Judentum als Verirrung an. Aber Ritualmordvorwürfe und Verteufelungen, wie wir sie von den Christen kennen, hat es bei den Muslimen nicht gegeben.
Als sich im 20. Jahrhundert der Konflikt ums Heilige Land verschärfte, ist der (Juden-)Hass (auch im Orient) virulent geworden.“ Auszug aus NZZ-Interview im Juli.
Ich erinnere an die wechselseitige, geistig-philosophische Befruchtung der Muslime und der Juden im mittelalterlichen Spanien (Cordoba, Granada …)vor der Eroberung Andalusiens (Al Andalus), Toledos etc.durch die Christen. In der Blütezeit des al-Ándalus lebten auf der iberischen Halbinsel gedeihlich verschiedene Religionen zusammen.
Der tödliche Antisemitismus begann mit der Eroberung der iberischen Landmasse durch die Christen, gekrönt namentlich durch Ferdinand de Aragón und Isabella von Kastilien im Jahr 1469.
Diese Zeit des al-Ándalus mit Ibn Rushd (Salman Rushdie verdankt seinen Namen und auch den weltoffenen, universalistischen Geist seinem Vater, der sich mit diesem Namen, in die Tradition dieser offenen Geistigkeit und des Wissensdursts eingefügt hat) war die Zeit, in der unter der Herrschaft muslimischer Herrscher die unterschiedlich konfessionierten Menschen zu einer gemeinsamen Kultur wuchsen.
Ein goldenes Zeitalter. Vorbild für ein modernes postnationales Europa der Regionen.
Ein Thema ganz für sich …
Wahrscheinlicher ist meiner Einschätzung, dass es sich bei den Muslimen und den Völkern der arabischen Welt heute eher um einen not- und elendgeborenen Antizionismus und nicht um den europäischen und „westlichen“Antisemitismus handelt. Beide Begriffe werden allerdings unterschiedslos wechselweise plakatiert und geschrien …
Lösung
Die israelische Regierung darf ihr Verteidigungsziel und die Rettung der – hoffentlich noch lebenden Geiseln – nicht aufgeben. Ist diese Rettung überhaupt noch vorrangig für Netanyahu und seine extremistischen Koalitionspartner Ben-Gvir und Smotrich?
Der Waffenstillstand und ein dauernder Frieden sollten Ziel dieser Regierung sein. Das Ziel sollte Israel allerdings nicht mit Bomben, sondern mit ‚dem Skalpell‘ verfolgen. Zugegebenermaßen leichter gesagt als getan. Man muß sich das real vorzustellen versuchen.
Eine so begründete Strategie lässt sich jedenfalls jüdisch universalistisch begründen.
„Wer ein Menschenleben rettet, rettet die ganze Welt.“
Aus der Tora, wohl bemerkt, nicht aus dem Quran, auch nicht aus der Bibel.
Sind die Smotrichs, Ben Gvirs in Netanjahus Koalition zu dumm dafür?
Zynisch schlau und dummdreist. Und Netanjahu, Chef dieser Koalition?
“There are none so blind as those who will not see.”
Diese schlimme Regierung ist mitverantwortlich für diese schreckliche Situation, die (un-)sozialen und andere Medien – von Ausnahmen abgesehen (Ha’aretz, Jerusalem Post, NYT u.a.seriöse Zeitungen, die deutschen haben teilweise noch die berühmte Schere im Kopf …).
Die Behandlung gefangener Palästinenser („wer noch nicht zu alt ist, kann Terrorist sein ...“; der Verdacht reicht aus, um in einem der israelischen Spezialgefängnisse zu landen“) ist Berichten der CNN oder anderen amerikanischen, israelischen, auch europäischen Medien zufolge mit denen in Abu Ghuraib angewandten zu vergleichen.
Indes, immerhin hat sich der garnicht zimperliche Kabinettskollege der beiden, der Verteidigungsminister Yoav Gallant (Likud), jetzt deutlich gegen seine noch extremistischeren Kollegen in der israelischen Regierung positioniert.
Israelische Medien kritisieren auch regelmäßig die Besiedlungspolitik ihrer Regierung, eine Regierung, die Übergriffe und Verbrechen, die von Juden an Palästinensern verübt werden, sanktioniert. Die Masslosigkeit, mit der die IDF in Gaza vorgeht, wird auch von israelischen Medien kritisiert.
Unter Palästinensern gibt es auch sehr kritische Stimmen über Hamas und den Islamischen Djihad.
Allerdings werden mit dem nicht enden wollenden Krieg solche Stimmen immer leiser statt lauter und die Einseitigkeit immer aggressiver. Sich – auch im Westbank – kritisch zum Terror und den Verbrechen der Landsleute zu äußern, ist faktisch kaum noch möglich.
Vor ein paar Tagen hörte ich auf dem DLF ein Interview mit dem z.Z.in Österreich tätigen Botschafter Palästinas. Die Antworten Salah Abdel Shafis waren einseitig, unobjektiv, vorgetragen in einer aggressiven Tonart; Genozid war auch hier der durchgängige Schlachtbegriff. Herr Shafi war nicht mal in der Lage, das Massaker und den Terror vom 07.Oktober als solchen zu benennen, geschweige denn zu verurteilen und zog sich argumentativ auf den Kontext als Rechtfertigungsgrund zurück.
https://share.deutschlandradio.de/dlf-audiothek-audio-teilen.html?audio_id=dira_DLF_9ba41753
Ebenso Marwan Bishara, der Chef-Kommentator von Al Jazeera und Autor, der sich in TV-Interviews (siehe YouTube-Beiträge – unbedingt auf die Daten der Veröffentlichungen achten!) und in Kommentaren nur noch in Freund-Feind-Formeln äußert.
Seit dem 07.Oktober 2023 ist nicht einmal mehr „Restobjektivität“geblieben. Dieses Verhaltensmuster ist häufig auch für bis zu jenem 07.Oktober auch bei Intellektuellen in Europa, Amerika … (Campus etc.)zu diagnostizieren.
Es muss mental, verbal und medial abgerüstet werden.
Es muss…, … um so ein Klima der Objektivität und Sachlichkeit herzustellen.
Genau das Klima, in dem eine Verhandlung von Israeliten und Palästinensern zielgerichtet geführt werden kann. Auf das Ziel einer Koexistenz von zwei souveränen Staaten, vielleicht sogar ein Zusammenleben in einem föderativen Staat (Omri Boehms visionäre Haifa Republic: A Democratic Future for Israel: Beyond the Two-State Solution).
Durch die Liquidierung des Verhandlers Haniyeh, ist Sinwar zum Chefverhandler geworden. Hier auch wieder: cui bono? Und vielleicht hat die Koalition in Jerusalem gewollt, daß die Waffenstillstandsverhandlungen erschwert werden.
Denn Sinwar (dessen Bio sehr empathisch im Juli in The Atlantic gezeichnet wurde) ist als Verhandler völlig ungeeignet: „Die Hamas hat nie davon abgelassen, mehr an der Zerstörung des jüdischen Staates als am Aufbau eines palästinensischen Staates interessiert zu sein – denn dieses Ziel der Vernichtung Israels hat es der Hamas ermöglicht, ihren Machterhalt auf unbestimmte Zeit zu rechtfertigen, obwohl der Gazastreifen seit der Übernahme der Kontrolle durch die Hamas nur wirtschaftliches Elend kennt.“
Sinwar ist der Urheber und Organisator des vielfach beschriebenen Unbeschreiblichen vom Siebten Oktober.
Die Verhandlung sollte vom pragmatisch begabten Marwan Barghouti auf palästinensischer Seite geführt werden. … und von einer Persönlichkeit wie Yair Golan auf israelischer Seite.
Siehe dazu meine Blogs vom November und Dezember 2023.
Unterstützt durch Qataris, vielleicht auch Ägypter und Amerikaner auch mit viel Geld für eine Art Marshal-Wiederaufbauplan.
Marwan Barghouti, PLO, z.Z.noch im israelischen Gefängnis, wird von vielen Israelis und Palästinensern für den „ultimativen Führer des palästinensischen Volkes“gehalten.
Viele sehen in Barghouti eine Art Mandela der Levante.
Von israelischen Instituten bei Palästinensern in Gazah und im Westbank durchgeführte Meinungsumfragen ergaben für Barghouti noch vor dem Siebten Oktober von keinem Palästinenser einholbare Mehrheiten, schon garnicht von Mahmood Abbas, auch nicht von Sinwar.
Im Juli hat The Economist in einem ausführlichen 1843 magazine-Report „Marwan Barghouti, the world’s most important prisoner“ zitiert:
„Barghouti is purpose-drive. He always knew that even with two states we both have to find a way of living in this bit of land together.”
Barghouti, ist vielleicht der Einzige ist, der uns aus dem Sumpf befreien kann, in dem wir stecken.
Yair Golan war als Chef des Generalstabs gesetzter, mehrfach ausgezeichneter Offizier.
Am Holocaust-Gedenktag 2016 hielt er eine Rede, die ihn seine Karriere kostete – vorerst. Anstelle der üblichen Plattitüden über den Schutz des Staates warnte Golan damals vor dem Anstieg des jüdischen Extremismus in der israelischen Gesellschaft. Damals wurde er vom die Politik bestimmenden Likud geräuschlos sublimiert (frei nach dem „Peter-Prinzip“), d.h., seine Karriere in der IDF beendet. Dass Golan wieder im Rampenlicht der Öffentlichkeit steht, hat er eben diesem Siebten Oktober zu verdanken. Da wurde Golans Mut und selbstlose Tollkühnheit, mit der er solo
in seinem Jeep nicht nur jüdische, auch beduinische, muslimische Israelis rettete …
Zusammengefasst:
die Hamas kann kein konstruktiver Verhandlungspartner sein.
Und Mitglieder der rechts-extremen Regierung Israels auch nicht.
Wie also soll das gehen?
USA, Kanada, EU müssen „unwiderstehlichen“(im Wortsinn) Druck auf Israel ausüben.
Auf arabischer Seite müssen Qataris, Ägypter und Saudis auch diesen „unwiderstehlichen“Druck auf die Hamas und auf die PLO, bzw.Präsident der Autonomiebehörde und PLO-Chef Mahmud Abbas ausüben – dieser wird versuchen, Barghouti aus der Liste der freizulassenden Palästinenser zu streichen -.
Obwohl Libanon essenziell an einem Waffenstillstand und Frieden interessiert ist, kann von dort keine konstruktive Beteiligung an dieser so wichtigen potenziell Zigtausende Menschenleben rettenden Verhandlung erwartet werden.
Die de facto dort regierende Hizbullah würde durch einen Erfolg dieser Verhandlung neutralisiert, Iran seines Einflusses beraubt werden … wird also eine solche Verhandlung – bestenfalls – behindern.
Perspektive
Was auf einen Verhandlungserfolg folgen kann, hat Thomas Friedman beispielhaft vor ein paar Monaten in der NYT beschrieben, bzw.neu aufgelegt (der NYT-Kolumnist und mehrfache Pulitzer-Preisträger und arabisch sprechende Nahost-Experte jüdischen Glaubens hatte schon in den 2000er Jahren davon geträumt): die günstige Lage – geostrategisch, klimatisch günstig – am Mittelmeer macht aus einem befriedeten, mit den Segnungen moderner Technologie marshalplan-rekonstruierten Gazah ein neues, klimatisch und geografisch begünstigtes ’neues Dubai‘, eine Vision, die mit Netanjahus erfolgreicher Verhinderung der Zwei-Staaten-Lösung (Oslo 1+2), von gloom and doom verschüttet, heute bestenfalls belächelt wird.
Robert Musil hat vor 100 Jahren erinnert: Wenn es Wirklichkeitssinn gibt, muss es auch Möglichkeitssinn geben.
(***) Die britische Balfour-Erklärung von 1917 forderte eine „nationale Heimstätte für das jüdische Volk“ in Palästina, ohne die Palästinenser angemessen zu berücksichtigen, die eine große Mehrheit in der Region ausmachten und die Balfour einfach als „nicht-jüdische Gemeinschaften“ bezeichnete. Diese Erklärung wurde dann den Palästinensern aufgezwungen, die 1922 zu kolonisierten Untertanen Großbritanniens geworden waren und nicht um ihre Zustimmung zur Aufteilung ihres Heimatlandes gebeten wurden. Drei Jahrzehnte später institutionalisierten die Vereinten Nationen die Teilung mit der Verabschiedung des Plans von 1947, der die Aufteilung Palästinas in zwei unabhängige Staaten vorsah, einen palästinensisch-arabischen und einen jüdischen.