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Inspirationen in Görlitz im November

Warum ich über Görlitz berichte?

Hier verknotet sich für mich einiges, das sowohl mit meiner Herkunft wie auch mit meinem europäischen Patriotismus zu tun hat.

Schon seit langem wollte ich diesen Ort in der Niederlausitz im östlichen Sachsen besuchen. Durch ein notwendiges Treffen mit einem Geschäftsfreund in Warschau ergab sich die Gelegenheit. Statt direkt über Frankfurt a.d.Oder, buchte ich die Zugverbindung über Görlitz in der Lausitz.

Görlitz liegt an der Neisse – an der Lausitzer Neisse. 

Es gibt auch eine Glatzer Neiße.

Diese war während des Zweiten Weltkrieges zwischen den Alliierten zeitweilig als künftiger Grenzfluss zwischen Polen und Deutschland im Gespräch. Dies hätte den Verbleib eines großen Teils Schlesiens einschließlich  Breslau – heute polnisch Wroclaw – , meinem Geburtsort, bei Deutschland bedeutet.

Großbritannien und die USA, also die derzeit Allierten, gaben Stalin letztlich nach, den Verlauf der polnischen Westgrenze nicht an der Glatzer, sondern an der Lausitzer Neiße festzulegen und damit fast ganz Schlesien polnisch werden zu lassen. Die Deutschland und Polen betreffenden Potsdamer Beschlüsse – nach den Konferenzen in Teheran (1943), Jalta (02/1945) und die im Juli/August 1945 in Potsdam abschließende – wurden mit dem Görlitzer Abkommen von Józef Cyrankiewicz und Otto Grotewohl am 6.Juli 1950 ratifiziert. Eine Philatelie-DDR-Briefmarke zeigt die damaligen Staatsoberhäupter Wilhelm Pieck und Boleslaw Bierut, die das zelebrieren.


Görlitz ist natürlich auch für mich nicht nur ein politischer Ort. 

Zitiert aus dem Görlitzer Prospekt ist „Görlitz … für viele nicht nur die schönste Stadt Deutschlands, sondern auch ein städtebauliches Gesamtkunstwerk von europäischem Format“.

Das ist im Hinblick auf den Superlativ ein kühnes Eigenlob, aber Görlitz ist bei gutem Wetter sicher schön und das mit dem europäischen Format stimmt auch, weil das deutsche Görlitz am westlichen Ufer der Lausitzer Neisse vereint mit dem polnischen Zgorzelec am östlichen, gemeinsam als Europa-Stadt auftretend, europäisches Format besitzt.

Im Altstadtbereich und entlang dieser Lausitzer Neisse ist Görlitz bestimmt ganz besonders schön, vor allem bei schönem Wetter.

Ich war dort bei schlechtem Wetter. Nicht nur neblig, verhangen, auch sehr naß …

Also keine Luftaufnahmen … gar keine Aussenaufnahmen.

Eine ganz besondere Signatur hat Görlitz mit dem Mystiker Jacob Böhme, „dem – laut Hegel – ersten deutschen Philosophen“.
Jacob Böhme, 1575 als Bauernsohn in der Oberlausitz geboren, ist zum Broterwerb in Görlitz Schumacher geworden. 
Karl Marx meinte: »Der Schuster Jakob Böhme war ein großer Philosoph. Manche Philosophen von Ruf sind nur große Schuster.« 
Ziemlich bösartig.
Wen meinte Marx wohl damit?
Görlitz ist lebenslang Wirkungsstätte des Mystikers und Pantheisten, dessen Todestag am 27.November 1624 sich eben erst zum 400.Mal gejährt hat, geblieben.
Er erlebte also in seinen letzten sechs Jahren den legendär grauenhaften Dreißigjährigen Krieg. 
In seiner Sicht des Bösen schließt Böhme aus dem Kriegserleben, daß das Böse notwendig ist, damit es das Gute geben kann. 
Auch nach Auschwitz? 
Kant würde es wohl verneinen.
Transzendenz und Mystik Böhmes sind durch sein Bekenntnis dokumentiert, dass ihm „beim Anblick eines Gefäßes, welches das Sonnenlicht reflektiert, plötzlich und ohne eigenes Zutun die göttliche Weisheit offenbart“ worden sei. 
Das Böhme-Thema „Gelassenheit“ kommt mir – wohl altersbedingt- entgegen.
In der kurz vor seinem Tod verfassten Schrift „Von der wahren Gelassenheit“ (1622) beschreibt Böhme Gelassenheit als etwas, um das „gerungen“ werden muss … Die wahre Gelassenheit erweist sich nicht als Rückzug in, sondern als Auszug aus der Innerlichkeit, als Zielpunkt einer Selbstbefreiung. (Ich denke häufig gelassen vor mich hin: „Nütze den Tag, der Folgende ist ungewiß …“. Das hin und wieder zu beherzigen, tut mir gut)
Böhmes letzte Worte: „Nun fahre ich hin ins Paradies!“. … hat er sicher „gelassen und vor allem endgültig selbstbefreit“ geflüstert.
Logik und Mystik finden an diesem Ort in der mathematisch ermöglichten Architektur der (Spät-)Gotik der fünfschiffigen gotischen Pfarrkirche zusammen. Der Eindruck der kolossalen von außen wird von der Räumlichkeit innen noch gesteigert und läßt einen erstaunen – man nehme sich das 3,5-min.-Video mit Audio dazu vor
https://vimeo.com/1039416896/d3607e173d
Für mich ist es die Art von Erstaunen, die den Wirklichkeitsbezug herstellt, also unabhängig von mystischer Schau. Keine Selbsttranszendenz also. 
Aber das ist wohl vor 400 Jahren, im noch nicht überwundenen Mittelalter so noch nicht denkmöglich gewesen … in der Zeit, als man sich noch nicht „des eigenen Verstandes“ bediente (oder bedienen durfte).
Mich ergreift Schönheit in ihren vielfältigen Manifestationen, in Gestalten und Wohlklang, in der Natur und in Kunstwerken, auch architektonischen, ohne solche Transzendenzen. 
So wie ganz besonders die Pfarrkirche Sankt Peter und Paul. Eines der wenigen bewegten Bilddokumente „im Trocknen“ der Kirche aufgenommen :
So wie ganz besonders die Pfarrkirche Sankt Peter und Paul. Auch dieses spätgotische  Monument und der auch körperlich erschütternde Klang seiner Sonnenorgel. Auch Sie ist als eine Besonderheit, eine Einzigartigkeit. 

Mit 17 Sonnen aus Orgelpfeifen, 6219 Pfeifen, 96 Registern und vier Manualen ausgestattet (Wikipedia).

Das war ein sehr kurzes, verregnetes Kennenlernen dieses vielfältig schönen Görlitz. Aber es hat mein Interesse bestätigt und ich hoffe, bald einen neuen „Anlauf“dorthin nehmen zu können.
Auch dieses spätgotische  Monument – Deckengewölbe …

… und der auch körperlich erschütternde Klang seiner Sonnenorgel.
Jetzt mache ich noch einen 500-km-Sprung diagonal quer durch Polen Nord-Nord-Ost an die Ostsee … nach Königsberg.
Margit und ich haben in 2006 auf der kurischen Nehrung auf der litauischen Seite in der Nähe von Thomas Manns Sommerhaus fußläufig zur russischen Grenze in 2006 Urlaub gemacht.
Foto-Gedenkstein, Inschrift auf litauisch und auf deutsch:
Sommerhaus 1930-1932 des deutschen Schriftstellers und Nobelpreisträgers Thomas Mann.“
Wir wollten das alte Königsberg bei dieser Gelegenheit besuchen.
War ja nebenan …
Für ein Visum hätten wir nach Moskau reisen müssen. Daraus war nichts geworden.
Diese russische Enklave (aus unserer Sicht, Exklave aus russischer) ist mitten in der EU, bis an die Zähne bewaffnet und ein Dorn in der Seite Europas.
DRadio, 30.11.2022: „Mit der Unabhängigkeit Litauens und dem Zerfall der Sowjetunion wurde das Kaliningrader Gebiet nach 1989 zur russischen Exklave zwischen Polen und Litauen. Deutsche Gebietsansprüche hatten sich erledigt, da die Wiedervereinigung 1990 mit der Anerkennung der deutsch-polnischen Oder-Neiße-Grenze verbunden war. … in Kaliningrad lässt Vladimir Putin seit der Ukraine -Agression die Muskeln spielen. Die Exklave dient ihm als schwer bewaffneter Vorposten in seiner aktuellen Konfrontation mit dem Westen und, wie schon bei Stalin, als Teil einer blutgetränkten heiligen russischen Erde.
Auch das ein Ergebnis der Konferenzen in Teheran, Jalta und Potsdam von 1943-45.
Königsberg wurde 1255 vom Deutschen Ritterorden an der Pregelmündung im Südosten der auf der Halbinsel Samland errichteten gleichnamigen Burg gegründet.
1283 wurde aus dem Festungshafen zu Ehren Böhmens König Ottokar II Königsberg und erhielt 1286 das Stadtrecht nach dem Kulmer Recht*.
1340 wurde Königsberg Mitglied der Hanse.
(*) Kulmer Recht beschreibt das mittelalterliche Recht der durch den Deutschritterorden bestimmten Region Preußens.
Im Ergebnis der drei Konferenzen über die sogenannte Nachkriegsordnung wurde Königsberg – nach Kapitulation der Deutschen in 1945 – als Kriegstrophäe der Sowjetunion zugesprochen. Diese gliederte Königsberg 1946 als Oblast Kaliningrad in die Sowjetunion ein. Den neuen Namen bekam der Festungshafen nach dem kurz zuvor gestorbenen Staatsoberhaupt der UdSSR Kalinin verpasst.
Michail Iwanowitsch Kalinin war nie in Königsberg. 
Im Vergleich zu dieser Annexion war die Krim erst ab 1783, also mehr als 500 Jahre nach Entstehung Königsbergs durch russische Eroberung unter Katharina II und Potjemkin mit den Saporoger Kosaken kolonisiert und erst völkerrechtswidrig 2014 integriert worden.
Die Saporoger Kosaken sind Kernvolk der Ukraine.

Katharina II. deklarierte die Krim 1783 formell von  „von nun an und für alle Zeiten“ als russisch.

Putin, der Geschichtsklitterer-in-Chief, hat inzwischen den deutschesten aller deutschen Philosophen Kant am 24.April d.J.angelegentlich dessen 300sten Geburtstags auch gleich zum Russen gemacht.

Kaliningrad ist Kant und Kant ist Kaliningrad … auf russisch.

Aus einem Automaten in Kaliningrad grüßt uns Immanuel Kant auf Russisch: „Ich begrüße Sie, mein Name ist Immanuel Kant. Ich freue mich, Sie zu sehen. Dann mach mal ein Foto.“ 

Ich meine…  Die Rücknahme Wroclaws/Breslaus ist aus Sicht des bekennenden Europäers nicht notwendig, weil Polen Teil der EU ist.

Auch schlesisch-österreichisch – also 250 Jahre davor und vor der preußischen Annexion unter Friedrich II – wär’s schon europäisch gewesen. In der k.u.k.-Habsburgerei ging’s ja bereits recht europäisch zu (eine Art Vorentwurf zum Europa der Regionen).
Das jetzt noch einmal von Putins Rußland (u.a.mit ICBMs) zusätzlich hochgerüstete Königsberg ist russischer Vorhutsposten inmitten der EU-Regionen Polen und Litauen und muß aus überragend strategischen Gründen als vormals Hauptstadt Preussens und deutscher Stadtstaat re-integriert, bzw.in die jetzt-EU eingegliedert werden.
Durch  Integration in Litauen oder in Polen.
Die Vereitelung Putin-Rußlands Ukraine-Invasion ist eine Voraussetzung für dieses Unternehmen.
Unrealistisch?
Total.
Europa muß irgendwann in der Lage sein, eine andere, eine sichere Realität zu schaffen.
Das ist dann anders, notwendig realistisch.