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Europa ist mir wichtig

Margit hat mir zum Geburtstag Peter Sloterdijks aktuelles Buch geschenkt: Der Kontinent ohne Eigenschaften. Ein Buch zu Europa, mit Untertitel ‚Lesezeichen im Buch Europa‘.

Der konservative Sloterdijk beeindruckt mit Textkreationen und Wortschöpfungen, die die Lektüre antreiben.

Vor allem ist es aber Sloterdijks kritische ‚Europa-Philie'(Europhilie würde wohl nicht so gemeinte Übersetzungen ergeben), die er auch mit Macron teilt und die motivieren.

Man hört und liest, Macron und Sloterdijk unterhalten sich gern und – das kann ich vermuten – regen sich auch ‚europäisch‘ an.

Macron hat das Collège de France besucht, wo Sloterdijk einige seiner Vorlesungen zu Europa gehalten hat.

Peter Neumanns Rezension der Sammlung in Die Zeit 04/12/24: „Dem Kontinent spricht (Sloterdijk) prägende Eigenschaften ab – und sieht darin einen Trumpf“.

Sloterdijk, kulturkritischer Optimist, erhebt also Einspruch gegen Selbstmissverständnisse und Minderwertigkeitskomplexe, und er sieht keinen Grund für Fatalismus und Untergangsgerede.

Sloterdijk beklagt aber, die  Europäer seien die „Inkarnation der Undankbarkeit“. Der Europäer sei kaum mehr als „der Endverbraucher eines Komforts, von dessen Entstehungsbedingungen er nicht den geringsten Begriff hat“. Auch hier applaudiere ich von ganzem Herzen … und wohl auch der überzeugte, gleichermaßen enttäuschte Robert Menasse (zuletzt „Die Erweiterung“, „Die Welt von morgen“).

Für die Eigenschaftslosigkeit als Trick kann Sloterdijk auf unsere kulturellen Vorfahren im klassischen Hellas zurückgreifen und findet in der Odyssee das passende Vorbild.

Odysseus und seine Gefährten werden vom gefräßigen einäugigen Riesenzyklopen Polyphem gefangen. Odysseus stellt sich Polyphem mit dem Namen „Niemand“ vor.

Als es Odysseus und seinen Gefährten gelingt, den Zyklopen zu blenden, ruft der seine Artgenossen mit dem Satz „Freunde! Niemand tötet mich mit List und nicht mit Gewalt!“ zu Hilfe.

Odysseus und die Gefährten können fliehen. Die Cleverness können wir jetzt gebrauchen.

Die Stärke – wir müssen sie verteidigen: „Die modernen mittleren Europäer haben sich auf die Demokratie verständigt. Diese Form (‘Herrschaftsform’ist nach meinem Gefühl ein Oxymoron, weil „Herrschaft“ und „Demokratie“etymologisch wie „still schreien“ nicht zusammenpassen) funktioniere – so Sloterdijk – „als politischer Mechanismus gegen die Mehrzahl der privaten und kollektiven Egoismen“ – daraus läßt sich auch soziale Marktwirtschaft basteln.

Das müssen wir Europäer bewahren und gegen die „Feinde der Offenen Gesellschaft“ (Karl Popper) verteidigen. 

Und Sloterdijk weiter: Abgeklärter Optimismus ersetzt trotzigen Optimismus, indem wir Europäer uns weder von der der anderen, z.B., der Macht der Polyphemischen Internationale von Moskau bis Peking und nun auch dem aktuell irrlichternden Washington, noch von der eigenen Ohnmacht dumm machen lassen. (aus Adornos Minima Moralia)

Wir sollten getrost auch auf den Mut und die technische Brillanz – unabhängig vom zeitgeistigen Kolonialismus (nein, ich bagatellisiere nicht) – der ersten Seefahrer (Europäer) blicken und “die Ergebnisse des gigantischen europäischen Erfindungsreichtums und Schöpfergeists feiern“.

Also: Europa ist Teil der Welt, der die ,Welt‘ erfand.

Auch auf die Ansprüche des Europäers Kant an alle Menschen universell kann sich der Europäer berufen.

Sloterdijk: „Der kantische Mensch ist von Grund auf Gattungsgenosse und insofern Weltbürger.“ (aus Sloterdijks “Philosophische Temperamente”. Kants Geist war europäisch geprägt.
Diese Prägung ist auch meine europäische Disposition, gleichzeitig als Humanist und Weltbürger.)

Und diese Prägung ist mir seit dem eben erlebten Abfall Amerikas – als ursprünglich von Frankreich dorthin getragenes europäisches Projekt – so wichtig geworden wie noch nie. Beim Hören und Sehen der Nachrichten aus Amerika denke ich immer wieder an Montesquieus Gewaltenteilung, die von keinem Staatswesen so rein und ganzheitlich und als erstes  übernommen wurde wie von den Vereinigten Staaten von Amerika … und dabei „work in progress“geblieben ist.

Dass der President of the United States (POTUS) nun mit der Demontage (oder eher der „demolition“) dieses nie perfekten, aber trotzdem immer schon vorbildhaften Verfassungsstaates beginnen konnte, ist rätselhaft und trotz der Selbstdemontage der Democrats nicht ausreichend folgelogisch.

Auch das Überhandnehmen der (un-)sozialen Netze und Meinungsverbreitungssender und das so Aussterben objektiver Nachrichtensender und Druckmedien außerhalb der Metropolen “auf dem Land” wirkt kanzerogen auf die Bildung der öffentlichen Meinung.

Heute – am letzten Februar – lese ich (FAZ), dass Bezos, Eigentümer von Amazon und seit ein paar Jahren auch der Washington Post (Leitbild: „Democracy Dies in Darkness„) Einfluss auf die Redaktion der WashPost nimmt: „Bezos macht Vorschriften für Kommentare„.

Überraschung?

Nicht wirklich.
Bezos hat schon anlässlich der Inauguration des neuen POTUS als Untertan im royalen Gefolge seine Aufwartung gemacht. Die Kamala-Harris-Wahlempfehlung der WashPost-Redaktion hatte er untersagt gehabt.

Erstmalig bei dieser berühmten Zeitung.

Mit der 1:1-Übernahme der Putin-Propaganda (“Ukraine hat den Krieg begonnen, Selenskyi ist Diktator”) und der de facto Übernahme aller Forderungen des Kreml muß nun die Frage gestellt werden, wer hier bestimmt.

Trump doch eher nicht mehr?

Es ist eine Aufstellung entstanden, deren konspirative Schlüsse sich geradezu aufdrängen. Erstaunlich ist, dass die letzten Informationen zu einer solchen Aufstellung zuletzt über die seriösen Medien in 2017 an die Öffentlichkeit gelangten.

Das Internet gibt auch heute noch einiges davon her …

Da ist z.B.Trumps evidente UdSSR-Russland-Verbundenheit, die in den 80ern beginnt. Diese Verbundenheit hat allerdings nichts mit russischer Literatur, Musik oder Malerei zu tun (bei Trump sowieso nicht vorstellbar).

Die Wurzeln liegen ganz woanders:

Russische Oligarchen halfen Trump bereits damals mehrfach finanziell aus dessen Fatalitäten.  

ZDF hat das vor etwa zehn Jahren berichtet.

Und der KGB hatte sich schon lange mit dem seltsam russophilen New Yorker Immobilienmogul beschäftigt:

Trump geriet 1984 zum ersten Mal ins Visier des damals noch sowjetischen Geheimdienstes – und dessen Oberstleutnant Putin – eine Akte könnte es laut ‚Politico‘ sogar schon seit 1977 gegeben haben, nämlich als Trump die Tschechoslowakin Ivana Zelickova heiratete.

Ambitionen auf das Präsidentenamt sollen erstmals nach einer Russlandreise aufgekommen sein, schreibt ‚Politico‘. Zufall oder gesteuert ?

Wenn gesteuert, von wem ?

Ein Dossier des britischen Ex-Geheimdienstmitarbeiters Christopher Steele dokumentiert ein Kompromat* des sowjetischen KGB (Teilnahme Trumps an Orgien in Russland).

*Kurzform für „kompromittierendes Material“.

„Im Herbst 2016 kamen die US-Geheimdienste in einem gemeinsamen Bericht zu dem Ergebnis: Putin hat eine Geheimdienstoperation angeordnet, um Donald Trump mithilfe von Hackerangriffen, Falschmeldungen und Angriffen auf das US-Wahlsystem zum Präsidenten zu machen.“

Als Trump 2016 die Präsidentschaftswahlen gewinnt, unterhält er bereits seit Jahrzehnten Verbindungen zu Geschäftsleuten mit Verbindungen zur Kreml-Elite.

Honni soit qui mal y pense?

Die jetzt stattfindende „Inversion“ der USA, auch und insbesondere der Republikaner, rechtzeitig vor den letzten POTUS-Wahlen, deren Ukraine-Unterstützung bis 2024 konstant verlässlich war und jetzt mit Trump 2.0 um 180 Grad vollendet wird, scheint jetzt komplett.

Sie erklärt Trumps Putinisierung mit sehr besonderen Umständen.
Artikel in The Atlantic am 28.02.: Die Putinisierung Amerikas.

Nein, nicht Amerika ist putinisert, sondern Trump und seine MAGA-Truppen … solange es noch freie Meinungsäußerung und faktentreue, seriöse Medien – wie The Atlantic, The New Yorker, New York Times, Chicago Tribune – u.a.gibt.

Und Europa?

Hamish de Bretton-Wood, commanding officer von NATOs Rapid Reaction CBRN Battalion, meint im BBC-Interview am 25.02.:

Europa (EU+UK) ist militärisch „untergerüstet“(nicht neu), aber Russland wirtschaftlich, industriell, technologisch weit überlegen.

 

Thomas Friedman, NYT, zitiert am 26.02.:

„Im April 2022, nach dem Rückzug Russlands aus dem Norden der Ukraine, kontrollierte Russland 19,6 Prozent des ukrainischen Territoriums; seine Verluste (Tote und Verwundete) betrugen vielleicht 20.000. Heute hält Russland 19,2 Prozent des ukrainischen Territoriums besetzt und hat laut britischen Quellen 800.000 Tote zu beklagen. … Mehr als die Hälfte der 7.300 Panzer, die [Russland] hatte, sind verschwunden. Von den verbliebenen Panzern können nur 500 schnell instand gesetzt werden. Im April könnten Russlands T-80-Panzer zur Neige gehen. Im vergangenen Jahr hat es doppelt so viele Artilleriesysteme verloren wie in den beiden Jahren zuvor. … Die so notwendig gewordene Umverteilung von Ressourcen aus den produktiven Sektoren in den militärischen Komplex hat in Russland eine zweistellige Inflation ausgelöst. Die Zinssätze liegen dort bei 21 Prozent.“

 

Während sich Europa und Kanada inzwischen große Sorgen um die Ukraine machen, setzt Russland weiterhin ohne irgendwelche Rücksichten auf eigene Verluste an Menschen und Ressourcen auf den totalen militärischen Sieg, also die Auslöschung der souveränen Ukraine.
(Man sollte nicht nur die Ukraine vor dem Polyphem im Kreml schützen, sondern auch das gequälte russische Volk).

 

Dass der POTUS Trump jetzt die Unterstützung der Ukraine aufkündigt und auch Europa – schon längst – zum Abschuß freigegeben hat, ist erstmal beunruhigend … aber vor allem der überfällige Weckruf und eine Erinnerung an das Europa, das wir verteidigen müssen … und können.

Wie gesagt: wir müssen kämpfen können, um nicht kämpfen zu müssen.

Macron am Montag (24.02.)zuzusehen, wie er mit Trump umgegangen ist und wie offenbar unbehaglich Trump sich dabei fühlte, hat meinen aufgeklärten Optimismus beflügelt. Ebenso der wachsende Widerstand der Institutionen und die  sehr lebendige Arbeit überzeugter Demokraten in den USA, der man täglich zusehen kann.

Nachtrag am 01.März,

Auszug aus The Atlantic

(auch die deutsche Presse hat heute berichtet und kommentiert. Ich halte es aber für zweckmäßig, eine wichtige Stimme aus dem Land Trumps zu hören … auch, um so auf Widerstand gegen dieses gefährliche Spiel hoffen zu können).

Was der Welt im Weißen Haus gestern vorgeführt worden war …

The Atlantic: „… es war ein abgekartetes Spiel.  Trump und Vance scheinen das Treffen mit der Absicht inszeniert zu haben, Zelensky zu beschimpfen und ihn als Vorwand für die diplomatische Pause in einen Streit zu verwickeln.

Warum hätte jemand etwas anderes erwarten sollen?

Trump hat schon vor Zelenskys Amtsantritt die russische Propaganda wiedergekäut, nicht nur in Bezug auf die Ukraine. Er hat die russische Inbesitznahme der Krim im Jahr 2018 (dem Jahr vor Zelenskys Wahl) verteidigt, sich wiederholt geweigert, die russische Schuld an verschiedenen Morden anzuerkennen, und hat sich sogar bei so eigenwilligen Themen wie der angeblich defensiven Begründung der Sowjets für die Invasion Afghanistans im Jahr 1979 und ihrer Befürchtung, dass ein „aggressives“ Montenegro Russland angreifen und die NATO in einen Krieg hineinziehen würde, an russische Argumente gehalten 

Trumps Schikanen begannen lange bevor Zelensky den Mund aufgemacht hatte. Trump begrüßte seinen Amtskollegen auf der Einfahrt zum Weißen Haus mit herablassendem Spott, zeigte auf ihn und sagte zu den Zuschauern: „Er hat sich heute ganz schön herausgeputzt“, wie Bill Batts in Goodfellas, der Joe Pescis Figur heruntermacht. („Hey, Tommy, so aufgetakelt!“) Zelenskys Kleidung – der ukrainische Präsident trägt Militärkleidung, keinen Anzug, um die Welt daran zu erinnern, dass sich sein Land im Krieg befindet – war eine fixe Idee der Rechten, und die Konservativen haben sie als Vorwand genutzt, um ihn für Trumps Wut verantwortlich zu machen.

Seltsamerweise schien es sie nicht zu stören, dass Elon Musk in dieser Woche in T-Shirt und Baseballkappe im Weißen Haus auftauchte.

Hätte Zelensky ein anderes Ergebnis erzielen können, wenn er Trumps Beschimpfungen und Lügen mit mehr Selbsterniedrigung hingenommen hätte?

Sicher, das ist möglich. Wenn man von einem schlechten Ergebnis rückwärts denkt, ist jede andere Strategie fast schon axiomatisch klüger. Zelensky hatte im Weißen Haus keine guten Optionen. Er geriet in einen Hinterhalt mit einem Präsidenten, der mit dem Diktator sympathisiert, der das Territorium der Ukraine an sich reißen will.

Jeder, der jahrelang vor Trumps ungebührlicher Affinität zu Putin gewarnt hat, hatte genau diese Art von katastrophalem Ergebnis vor Augen.

In Fareed Zakarias GPS-Sendung am letzten Sonntag erinnerte Fareed an die Weigerungen Selenskys, u.a.Trumps Forderungen nach Beschaffung korrumpierenden “Materials”über Bidens Sohn nachzukommen und auch andere Forderungen Trumps nicht zu erfüllen. 

Siehe Fareeds CNN-Video
„Präsident Trump kapituliert vor Russland“ :https://edition.cnn.com/2025/02/23/world/video/gps0223-trump-surrendering-to-russia 

Tom Nichols, Autor, Redakteur, The Atlantic:

Today marked one of the grimmest days in the history of American diplomacy.“ 

Ich denke eben noch an Kennedys Solidaritätserklärung für die Berliner im geteilten Berlin in 1963 (“Ich bin ein Berliner”) und erwarte eine europäische Solidaritätserklärung für die Ukrainer: “Ich bin ein Ukrainer”.

Es  wird wohl auf Odysseus als Niemand hinauslaufen …