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Apeirogon

Jeder Mensch hat eine Biografie.
Und ist Teil einer Gemeinschaft.
Überall, hier auf diesem Planeten, mit seinen unzählbaren Biografien.
Das Apeirogon, „eine zweidimensionale geometrische Form mit einer gegen unendlich gehenden Zahl von Seiten“steht für diese Vielfalt.
Das Apeirogon, der Ort der Handlungen, die sich dort alle treffen und sich vereinen.
‘Aparei’, aus dem Griechischen für unendlich, vermittelt im Vergleich zu ‘Poly’für viel, eine Ahnung von unendlicher Komplexität.
Nicht nur gegenständlich.
Aus – sich todfeindlich auf überschaubarem ein und demselben Territorium gegenüber lebenden Erdflecken, dem Palästina, dem Judäa der mehrtausendjährigen Menschheitsgeschichten entsteht die Geschichte des palästinensischen Arabers Bassam Aramin, dessen Tochter Abir zehnjährig 2007 von einem israelischen Grenzsoldaten erschossen wurde und des israelischen Juden Rami Elhanan, dessen Tochter Smadar zehn Jahre zuvor von der Bombe eines palästinensischen Selbstmordterroristen zerrissen worden war – werden Freunde.
Beide sind einer Konfession angehörig, die Vergeltung nicht nur erlaubt. Der jeweilige Gott befiehlt Rache.
Beide sind gewalterfahren und wählen Versöhnung. Sie haben – jeder für sich – entdeckt, sie sind Opfer der Opfer. …
ein Wunder?
Um diese komplexe, doppelte Biografie vor dem ebenso komplexen historischen und aktuell, inzwischen täglich politischen Hintergrund nicht nur verstehbar, sondern auch fesselnd, durchgehend ergreifend zu erzählen, hat der Ire Colum McCann eine für mich erstmalige Struktur gewählt.
Man erfährt nebenbei belegte Geschichte, aus dem Brauchtum beider semitischer Ethnien und den täglichen Hindernislauf, um zueinander zu gelangen und der Araber Bassam und seine Familie auch in der täglichen Bewältigung des “normalen” Überlebens. Mit vielen “fliegenden”checkpoints in der zerstückelten Westbank, wo israelische Grenzsoldaten nichtjüdische Bürger in würdeloser Weise kontrollieren.
Apeirogon trägt zum Verstehen des Geschehens in der Levante bei. Man erahnt, dass dort ein Fass geöffnet ist. Darin spreutrocknes, jederzeit entzündbares Pulver und kein erkennbares politisches Interesse, das zu ändern.
Ich bin zugleich erschüttert und irgendwie befreit … und ich fühle mich zugehörig zu diesem Menschsein …
Ich hätte weiterlesen – eine Art miterleben, mitleiden, mittriumphieren – wollen.
Leider war’s die letzte Seite …
Dieses wunderbare Buch verdanke ich unserer Freundin Christiane.  Werde ich ein vergleichbares Geschenk an Christiane entdecken … ?
… ergänzt auch meinen Blog vom 09.November 2023.

Es gibt viele Beispiele für Menschen, die für Rache und Feindschaften vordisponiert waren. Ein prominentes Vorbild sind der arabische Palästinenser Edward Wadie Said und der argentinische Jude Daniel Barenboim, die eine enge Freundschaft pflegten und die 1999 das West-Eastern Divan Orchestra gründeten. Dort musizieren junge Musiker aus Israel und der arabischen Welt und leisten so einen Beitrag zum Frieden im Nahen Osten.
… inzwischen eine Institution,  die 2015 zur Gründung der Barenboim-Said Akademie führte, die Musikhochschule in Berlin . Dort ist Daniels Sohn Michael Konzertmeister des West-Eastern Divan … und ein virtuoser Violinist … wie sein Vater der großartige Klaviervirtuose …

Edward W.Said (1935-2003), eigentlich US-amerikanischer Literaturtheoretiker und -kritiker hat in seinem Hauptwerk „Orientalism“ untersucht, wie der Westen den Osten historisch dargestellt und (de-)konstruiert hat. Wird von einigen Medien als „Ideologe des palästinensischen Widerstands“ (NZZ) apostrophiert – meiner Meinung sitzt die NZZ selbst im ideologischen Schwitzkasten.
Ein weiteres Beispiel sind die Freunde Yuval Abraham und  Basel Adra.  Adra ist Regisseur des Oscar-Preis-Gewinners „No Other Land“ (2024) und Abraham hat die Dokumentation dazu geliefert und den Film mitproduziert.
Er ist Journalist und Investigativreporter für die unabhängigen Medien +972 Magazine und Local Call.