Lwiw – Lemberg
... ein ganz besonderer Ort
Lwiw/Lwow/Lemberg – immer Derselbe: ukrainisch, polnisch, russisch, galizisch-k.u.k-österreichisch. Der Ort Joseph Roths, aber auch der Ort, wo die Rechtsbegriffe internationalen Rechts für die Menschen erdacht wurden: Kriminalisierung gezielter Ermordung von ethnischen und religiösen Gruppen (Genozid) und Menschenrechte. Rafael Lemkin, der in Lemberg in den 1920ern studierte und in Jura promovierte. Auslöser: Völkermord an den Armeniern und anderen christlichen Minderheiten in der Türkei.
Das Konzept staatlicher Souveränität verhinderte, einen Mann wegen seiner Verantwortung für einen Völkermord in einem anderen Land zu verurteilen. Für den Linguistik-Studenten Lemkin war dies der Anlass, sein Studienfach zu wechseln, um Recht zu studieren. Lemkin gehört zu den persönlich Betroffenen des Genozids durch das NS-Regime. Bis auf seinen Bruder und seine Schwägerin verlor er seine gesamte Familie im Holocaust.
Hersch Lauterpacht, der auch ebendort Jura studierte und mit der Dissertation „Das völkerrechtliche Mandat in der Satzung des Völkerbundes“abschloß, wohnte den Nürnberger Prozessenals Sachverständiger für „Crimes against Humanity“ bei.

Beide verließen Lemberg noch vor den Deportationen und Zwangsghettoisierungen und beide verloren viele Familienmitglieder im Holocaust.
Auch Philippe Sands Verwandtschaft hat eine Holocaust-Geschichte. Sands, der – selbst erfolgreicher jüdischer, französisch-britischer Menschenrechtsanwalt (und der seit 2020 den Ökozid-Rechtstitel bearbeitet) – auf Spurensuche seines Großvaters in Lemberg auch den Spuren von Lemkin und Lauterpacht in Lemberg folgte. Die beiden Bücher, die mich Jahre nach meinem Lemberg-Besuch so sehr beschäftigt haben: East West Street: On the Origins of Genocide and Crimes against Humanity (2016) und “The Ratline: Love, Lies and Justice on the Trail of a Nazi Fugitive“ (2020).
Das erste (deutsch: Rückkehr nach Lemberg) bezeichnet Sands selbst als eine „sehr persönliche Geschichte“. Das zweite ist Ergebnis seiner Recherche der Flucht von SS-Gruppenführer Otto Wächter. Sands’Gespräche mit Niklas Frank (Sohn des berüchtigten Hans Frank, Gouverneur von Polen) und Horst Wächter (Sohn Otto Wächters) und Otto Wächters Enkelin machen auch dieses Buch sehr persönlich.
Hier in Lemberg schließt sich die Schlinge ein weiteres Mal. Dieses Mal für Putin und seine Siloviki.





















Nachtrag am 26.März: ein Artikel der Süddeutschen Zeitung aus 2014 aus meiner Grabbelkiste …
Der Artikel („Seite Drei“der SZ vom 01.September 2014 „Ach, Europa“) beginnt mit Sätzen, die Ereignisse berichten, welche auch in diesen Tagen im März 2022 erlebt werden. Wir müssen uns daran erinnern, daß dieser Krieg nicht erst vor einem Monat, sondern bereits vor acht Jahren begann.
Lemberg, eine Stadt, wie aus der Zeit gefallen. Überalle Schlachten des 20.jahrhunderts hinweg blieben zwar die Häuser … verschont, aber nicht die Menschen. Viele wurden vertrieben, deportiert, ermordet.
1772 ins k.u.k.-Imperium (Robert Musils „Kakanien“)geraten, heute UNESCO-Weltkulturerbe. Hauptstadt Galiziens – Joseph Roths Landschaft voller“Frösche, Fieberbazillen und tückischem Gras“. Die „kakanische“Epoche endete mit der „Öffnung der Pandora“ in 1918. Aus der Büchse heraus … „Nationalismus, Faschismus, Stalinismus, Antisemitismus, all die Schrecken des 20.Jahrhunderts suchten Lemberg heim.“
In den Häusern, die diese Stadt zu einem „Weltkulturerbe“machen, „gedieh der Hass, der Hass der Nationen aufeinander, Polen gegen Ukrainer, Deutsche gegen Ruseen, jeder gegen jeden … und alle gtegen die Juden.“
… und: die Stadt der vielen Völker“ mit „einer Vergangenheit, in der Opfer auch Täter waren“.